Leitsatz (amtlich)
1. Vor dem Hintergrund der Verhinderung von Kennzeichenmissbrauch im Zusammenhang mit Straftaten und zum Schutz des staatlichen Zulassungswesens belegt § 22a Abs. 1 Nr. 1 StVG jede Abgabe von Fahrzeugkennzeichen an Dritte ohne vorherige Anzeige an die zuständige Zulassungsstelle gemäß § 6b StVG mit Strafe.
2. § 22a StVG erfasst auch die Kurzzeitkennzeichen nach § 16 Abs. 2 FZV.
Normenkette
StVG § 22a Abs. 1 Nr. 1, § 6b
Verfahrensgang
AG München (Entscheidung vom 09.08.2010) |
Tenor
I. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Amtsgerichts München vom 9. August 2010 samt den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.
II. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung auch über die Kosten des Revisionsverfahrens an eine andere Abteilung des Amtsgerichts München zurückverwiesen.
Gründe
I. Mit Anklageschrift vom 25. März 2010 hat die Staatsanwaltschaft den Angeklagten folgenden Sachverhalt zur Last gelegt:
Die Angeklagten veräußerten in bewusstem und gewollten Zusammenwirken im Rahmen ihres "Kfz-Zulassungsdienstes" in der L. Straße in M. jeweils gegen Bezahlung eines Geldbetrags amtliche Kurzzeitkennzeichen einschließlich der dazu gehörenden, auf sie oder dritte Personen ausgestellte Fahrzeugscheine an anderweitig Verfolgte Personen, obwohl die Angeklagten die Weiterveräußerung in keinem der Fälle gemäß § 6b StVG bei der dafür zuständigen Zulassungsbehörde angezeigt hatten.
Die amtlichen Kurzzeitkennzeichen einschließlich der dazu gehörigen Fahrzeugscheine hatten die Angeklagten selbst oder durch Vermittlung Dritter jeweils bei der dafür zuständigen Zulassungsstelle unter Vorgabe der Verwendung für eigene Kfz. zu Probe-, Prüfungs- oder Überführungsfahrten erlangt.
Dies wussten die Angeklagten.
Im Einzelnen handelt es sich um folgende Fälle:
1. Das Kurzzeitkennzeichen xx am 08.06.2009 zwischen 15.00 und 16.00 Uhr gegen Bezahlung eines Geldbetrags in Höhe von 60,-- Euro unter Vermittlung des anderweitig Verfolgten K. T. an den Zeugen W. M..
2. Das Kurzzeitkennzeichen xx (gültig vom 29.05.2009 bis 02.06.2009) am 01.06.2009 gegen Bezahlung eines Geldbetrags von ca. 60,-- Euro unter Beteiligung des anderweitig Verfolgten B. S. an den Zeugen O.A..
3. Das Kurzzeitkennzeichen xx am 14.07.2009 gegen Bezahlung eines Geldbetrags in Höhe von ca. 80,-- Euro an den anderweitig Verfolgten B.E.
4. Das Kurzzeitkennzeichen xx am 19.10.2009 gegen Bezahlung eines Geldbetrags in unbekannter Höhe an den anderweitig Verfolgten Z.-J. M.
5. Das Kurzzeitkennzeichen xx am 28.12.2009 gegen Bezahlung eines Geldbetrags von 70,-- Euro an den anderweitig Verfolgten G. A.
6. Das Kurzzeitkennzeichen xx (gültig vom 12.01.2010 bis 16.01.2010) zu einem nicht näher bekannten Zeitpunkt vor dem 13.01.2010 gegen Bezahlung eines Geldbetrags in Höhe von ca. 70,-- Euro an den anderweitig Verfolgten O. I.
Das Amtsgericht hat die Angeklagten mit Urteil vom 9. August 2010 aus Rechtsgründen freigesprochen.
Gegen dieses freisprechende Urteil wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer Revision, die auf die Sachrüge gestützt wird.
II. Die nach §§ 333, 335 Abs. 1, 337, 341 Abs. 1, 344, 345 Abs. 1 StPO zulässige Sprungrevision der Staatsanwaltschaft erweist sich aufgrund der erhobenen Sachrüge als begründet. Das Urteil des Amtsgerichts München vom 9. August 2010 verletzt § 22a Abs. 1 Nr. 1 StVG.
1. Nach § 22a Abs. 1 Nr. 1 StVG wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft, wer Kennzeichen ohne vorherige Anzeige bei der zuständigen Behörde herstellt, verteilt oder ausgibt. Die Angeklagten haben, indem sie im Rahmen ihres Unternehmens in den angeklagten sechs Fällen Kennzeichen entweder unmittelbar oder durch Vermittlung Dritter weiteren Personen zur Verfügung gestellt und damit das Tatbestandsmerkmal des Ausgebens erfüllt. Unter Ausgeben im Sinne des § 22a Abs. 1 Nr. 1 StVG versteht das Gesetz jede entgeltliche oder unentgeltliche Weitergabe von Kennzeichen, wenn diese entgegen § 6b StVG ohne vorherige Anzeige bei der zuständigen Behörde erfolgt. Dies ist vorliegend der Fall. Die Sichtweise des Amtsgerichts, die Anzeigepflicht nach § 6b Abs. 1 StVG diene ausschließlich der Überwachung der Kfz.-Schilderhersteller greift zu kurz und findet weder im Wortlaut der Vorschrift noch in ihrer Entstehungsgeschichte eine Stütze (BTDrucks 14/8766 S. 59). Die Anzeigepflicht nach § 6b StVG trat an die Stelle des Bescheinigungsverfahrens nach früherem Recht, macht aber keinen Unterschied zwischen Schilderherstellern und sonstigen Personen, die geschäftlich oder in anderer Weise mit Kraftfahrzeugkennzeichen umgehen. Diese Sichtweise wird durch einen Blick auf § 6 Abs. 1 Nr. 8 StVG bestätigt, der - wie auch § 22a StVG - im Zusammenhang mit dem strafrechtlich erheblichen Umgang mit Kraftfahrzeugkennzeichen zu sehen ist.
2. Im Übrigen tritt der Senat der Rechtsauffassung der Staatsanwaltschaft ausdrücklich bei, die ihre Sachrüge in der Revisionsbegründung vom 6. Oktober 2010 wie folgt ausgeführt hat:
Die Vorschriften der §§ 6b, ...