Leitsatz (amtlich)
Aus einem überobligatorischen Räumen und Streuen der Gemeinde kann weder eine ansonsten nicht gegebene Verkehrssicherungspflicht der Gemeinde noch ein haftungspflichtiger Vertrauenstatbestand hergeleitet werden.
Verfahrensgang
LG Traunstein (Urteil vom 08.01.2004; Aktenzeichen 7 O 1878/03) |
Tenor
I. Auf die Berufung der Beklagten hin wird das Urteil des LG Traunstein vom 8.1.2004 in Ziff. 1 und 2 aufgehoben und die Klage auch insoweit abgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits beider Rechtszüge.'
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Von der Darstellung des Tatbestands wird gem. § 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 S. 1 ZPO abgesehen.
Entscheidungsgründe
A. Dem Kläger steht gegen die Beklagte kein Schadenersatzanspruch zu. Die Beklagte ist angesichts der Gegebenheiten an der Unfallstelle nicht räum- und streupflichtig.
1. Das Maß der an den Streupflichtigen zu stellenden Anforderungen richtet sich insb. nach Art und Wichtigkeit des Verkehrsweges und nach der Stärke des Verkehrs (BGH NJW 1960, 41). Die ländlichen Verhältnisse einer kleinen Dorfgemeinde sind angemessen zu berücksichtigen, da die Verkehrssicherungspflicht durch den Gedanken der Zumutbarkeit begrenzt wird (BGH NJW 1960, 41). In kleinen, dörflich geprägten Gemeinden ist eine Räum- und Streupflicht der Gemeinde insb. dann zu bejahen, wenn ein nicht unbedeutender Verkehr stattfindet, der von den typisch dörflichen Verkehrsverhältnissen abweicht (BGH NJW 1960, 41). Eine Streupflicht wird nicht schon dadurch begründet, dass ein Weg überhaupt besteht und deshalb vereinzelt begangen wird (BayObLGZ 1966, 8). Es ist nicht Aufgabe der Streupflicht, den Fußgänger vor jeder Möglichkeit des Ausgleitens zu schützen. Vielmehr muss der Verkehr einen Rest an Gefahren, die auf den Gegebenheiten der Natur beruhen, hinnehmen. Bei der Bemessung des Umfangs der Streupflicht ist zu bedenken, dass auch die Fußgänger die erforderliche Vorsicht anwenden müssen, um Unfälle durch Ausgleiten zu vermeiden. Würde die Verkehrssicherungspflicht der Gemeinden die Pflicht umfassen, auch alle unwichtigen, nur von wenigen begangenen Fußwege zu bestreuen, so stünde der Aufwand in keinem Verhältnis mehr zu der abzuwendenden Gefahr (BayObLGZ 1966, 8).
Die Straße, auf der sich der streitgegenständliche Unfall ereignet hat, befindet sich, was insb. aus dem im Termin vom 22.4.2004 übergebenen Ortsplan ersichtlich ist, am Ortsrand einer kleinen, ländlich geprägten Gemeinde. Die Straße, die keinen Straßennamen führt, ist nur teilweise geteert und nicht mit einem Gehweg versehen. Sie erschließt lediglich den Zugang zu den anliegenden Anwesen. Dem Umstand, dass die Straße, worauf das LG abgehoben hat, zur Gemeindeverbindungsstraße E./R. führt, kommt keine wesentliche Bedeutung zu, da in Anbetracht der kleinteiligen Siedlungsstrukturen in Z. einige unbedeutende Straßen unmittelbar in die Gemeindeverbindungsstraße münden. Die streitgegenständliche Straße eröffnet lediglich 23 Anliegern den Zugang zur Gemeindeverbindungsstraße.
Angesichts der vorgenannten Umstände verneint der Senat eine Räum- und Streupflicht der Beklagten. Es findet auf der streitgegenständlichen Straße kein hinreichend bedeutender Verkehr statt. Es wäre für die Beklagte, eine kleine Gemeinde, die im Bauhof lediglich einen Mitarbeiter beschäftigt und nur ein Räum- und Streufahrzeug hält, nicht zumutbar, derartige Verkehrswege zu räumen und zu streuen.
2. Dass die Beklagte die streitgegenständliche Straße (überobligatorisch) in gewissem Umfang geräumt und gestreut hat, begründet keine Verkehrssicherungspflicht, da es insoweit auf die objektiven, unter Ziff. 1 erörterten, Umstände ankommt. Die Bürgermeisterin der Beklagten hat dem Senat im Termin vom 22.4.2004 erläutert, dass sich die Beklagte im Rahmen ihrer begrenzten Möglichkeiten nach Kräften darum bemüht, im Gemeindegebiet zu räumen und zu streuen. Aus diesem überobligatorischen Bemühen der Beklagten kann weder eine Erweiterung der Verkehrssicherungspflicht noch ein Vertrauenstatbestand hergeleitet werden.
3. Soweit der Kläger die Ansicht vertritt, dass die Verneinung einer Räum- und Streupflicht an der Unfallstelle Art. 83 Abs. 1 BV widerspricht, vermag der Senat diese Auffassung, die der Kläger in der Berufungserwiderung auch nicht näher erläutert hat, nicht nachzuvollziehen. Art. 83 Abs. 1 BV erläutert lediglich den eigenen Wirkungskreis der Gemeinden, der den Gemeinden gem. Art. 11 Abs. 2 S. 2 BV verfassungsrechtlich verbürgt ist. Die Bestimmung von Art und Umfang der Verkehrssicherungspflicht der Gemeinde am gemeindlichen Straßen- und Wegenetz beeinträchtigt das Selbstverwaltungsrecht der Gemeinde nicht.
B.I. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.
2. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision gem. § 543 Abs. 2 ZPO n.F. sind nicht gegeben.
Fundstellen
Haufe-Index 1445271 |
OLGR-Süd 2006, 53 |