Entscheidungsstichwort (Thema)
Umfang des Schadensersatzes gegen Hersteller im sog. Abgasskandal
Leitsatz (amtlich)
1. Der Hersteller im sog. Abgasskandal haftet dem Käufer aus vorsätzlich sittenwidriger Schädigung auf Rückzahlung des Kaufpreises Zug um Zug gegen Herausgabe und Übereignung des erlangten Fahrzeugs unter Anrechnung der gezogenen Nutzungen (BGH BeckRS 2020, 10555). (Rn. 15 - 28)
2. Dem geschädigten Käufer steht kein Anspruch auf Verzinsung des Kaufpreises ab dessen Zahlung, sog. Deliktszinsen, zu. (Rn. 30)
3. Im sog. Abgasskandal ist die außergerichtliche Beauftragung von Rechtsanwälten nicht als von vornherein sinnlos und zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung nicht geeignet anzusehen. (Rn. 38)
4. Die Feststellung des Annahmeverzugs ist unbegründet, wenn der geschädigte Käufer die Rückzahlung des Kaufpreises ohne Anrechnung des Nutzungsersatzes verlangt (BGH BeckRS 2020, 10555). (Rn. 40)
Normenkette
BGB §§ 31, 249, 286 Abs. 2 Nr. 4, §§ 288, 291, 293, 826, 849; FZV § 3 Abs. 1 S. 2, § 5 Abs. 1; EGV 715/2007 Art. 5 Abs. 2 S. 1; ZPO § 138 Abs. 3, § 287
Verfahrensgang
LG Landshut (Urteil vom 03.05.2019; Aktenzeichen 54 O 3665/18) |
Tenor
I. Auf die Berufung der Klagepartei wird das Urteil des Landgerichts Landshut vom 03.05.2019, Az. 54 O 3665/18, teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 8.719,30 Euro nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 15.01.2019 Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs VW Golf 2.0 l mit der Fahrzeugidentifizierungsnummer ...85 zu bezahlen.
2. Die Beklagte wird verurteilt, die Klagepartei von den vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 958,19 Euro freizustellen.
3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
III. Von den Kosten des Rechtsstreits in beiden Instanzen haben die Klagepartei 60% und die Beklagte 40% zu tragen.
IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Jede Partei kann die Vollstreckung durch Leistung einer Sicherheit in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die vollstreckende Partei Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
V. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
I. Die Klagepartei verlangt von der Beklagten Schadensersatz wegen des Erwerbs eines Pkw, in den ein von der Beklagten hergestellter Motor der Baureihe "EA 189" eingebaut ist.
Die Klagepartei erwarb im April 2013 zum Preis von 17.900 Euro den im Tenor bezeichneten Pkw, der mit einem Dieselmotor des Typs EA 189, Schadstoffnorm Euro 5 ausgestattet ist. Der Kilometerstand bei Erwerb betrug 26.700 km. Die Beklagte ist die Herstellerin des Motors. Für den Fahrzeugtyp wurde die Typgenehmigung nach der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 mit der Schadstoffklasse Euro 5 erteilt.
Die im Zusammenhang mit dem Motor verwendete Software erkennt, ob das Fahrzeug auf einem Prüfstand dem Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) unterzogen wird und schaltet in diesem Fall in den Abgasrückführungsmodus 1, einen Stickoxid (NOx)-optimierten Modus. In diesem Modus findet eine Abgasrückführung mit niedrigem Stickoxidausstoß statt. Im normalen Fahrbetrieb außerhalb des Prüfstands schaltet der Motor dagegen in den Abgasrückführungsmodus 0, bei dem die Abgasrückführungsrate geringer und der Stickoxidausstoß höher ist. Für die Erteilung der Typgenehmigung der Emissionsklasse Euro 5 maßgeblich war der Stickoxidausstoß auf dem Prüfstand. Die Stickoxidgrenzwerte der Euro 5-Norm wurden nur im Abgasrückführungsmodus 1 eingehalten.
Im September 2015 räumte die Beklagte öffentlich die Verwendung einer entsprechenden Software ein. Unter dem 15.10.2015 erging gegen sie ein bestandskräftiger Bescheid des Kraftfahrt-Bundesamts (KBA) mit nachträglichen Nebenbestimmungen zur Typgenehmigung, der auch das Fahrzeug der Klagepartei betrifft. Das KBA ging vom Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung aus und gab der Beklagten auf, diese zu beseitigen und die Einhaltung der maßgeblichen Grenzwerte anderweitig zu gewährleisten. Die Beklagte gab mit Pressemitteilung vom 25.11.2015 bekannt, Software-Updates durchzuführen, mit denen diese Software aus allen Fahrzeugen mit Motoren des Typs EA189 mit 2,0-Liter-Hubraum entfernt werden sollte. Die Klagepartei ließ in der Folge das Software-Update durchführen.
Mit Schreiben vom 06.08.2018 (Anlage K 20) forderte die Klagepartei die Beklagte erfolglos zur Erstattung des Kaufpreises unter Fristsetzung bis zum 20.8.2018 auf und bot Zug um Zug die Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs an.
Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die tatsächlichen Feststellungen in dem landgerichtlichen Urteil Bezug genommen.
Ergänzend stellt der Senat fest, dass die Laufleistung des streitgegenständlichen Pkw am 04.03.2020 141.228 km betrug.
Das Landgericht hat mit Endurteil vom 03.05.2019 die Klage abgewiesen.
Die Klagepartei hat gegen dieses Urteil Berufung eingelegt.
Die Klagepa...