Entscheidungsstichwort (Thema)
Schadensersatzansprüche nach Kollision von Pkw und Straßenbahn
Leitsatz (amtlich)
1. Der Führer einer Straßenbahn haftet weder aus § 18 Abs. 1 S. 1 StVG noch aus § 1 Abs. 1 HPflG.
2. Kommt es zu einer Kollision zwischen einem Pkw und einer Straßenbahn, weil sich der Pkw-Führer ohne Beachtung der herannahenden Straßenbahn unter schuldhaftem Verstoß gegen § 9 Abs. 1 S. 3 StVO im Gleisbereich aufgehalten hat, ohne das feststeht, dass auch den Straßenbahnfahrer ein Verschulden an der Kollision trifft, so kann eine Alleinhaftung von Fahrer und Halter des Pkws im Verhältnis zum Straßenbahnbetriebsunternehmer gerechtfertigt sein.
3. Rechtshängigkeitszinsen werden analog § 187 Abs. 1 BGB erst ab dem auf die Zustellung folgenden Tag geschuldet.
Normenkette
BGB § 187 Abs. 1, § 823 Abs. 1; StVG § 1 Abs. 2, § 17 Abs. 1-2, 4, § 18 Abs. 1 S. 1; HPflG § 1 Abs. 1; StVO § 9 Abs. 1 S. 3; ZPO §§ 287, 528 S. 2
Verfahrensgang
LG München I (Urteil vom 04.04.2017; Aktenzeichen 20 O 3312/15) |
Tenor
I. Auf die Berufung der Beklagten vom 18.04.2017 wird das Endurteil des Landgerichts München I vom 04.04.2017 abgeändert und wie folgt neu gefasst:
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger wird verurteilt, an die Beklagte zu 1) 13.723,71 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus 6.502,61 EUR für die Zeit vom 09.02.2015 bis zum 10.02.2015 und aus 13.723,71 EUR für die Zeit seit dem 10.02.2015 zu zahlen.
3. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits (erster Instanz).
II. Im Übrigen wird die Berufung der Beklagten zurückgewiesen.
III. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
V. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
A. Von einer Darstellung der tatsächlichen Feststellungen wird abgesehen (§§ 540 II, 313 a I 1 ZPO i.V.m. § 26 Nr. 8 EGZPO sowie §§ 540 II, 313 b I 1 ZPO).
B. I. Die statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte und begründete, somit zulässige Berufung hat in der Sache ganz überwiegend Erfolg.
1.) Die Klage war - vollständig - abzuweisen.
a) Hinsichtlich des Beklagten zu 2) war die Klage bereits deswegen abzuweisen, weil es für eine Haftung aus § 823 I BGB am Verschuldensnachweis fehlt (insoweit zutreffend vom Erstgericht festgestellt), weil es für eine Haftung aus § 18 I 1 StVG am Tatbestandsmerkmal des Kraftfahrzeuges fehlt (vgl. die Legaldefinition in § 1 II StVG und weil aus § 1 I HPflG nur der Betriebsunternehmer, nicht auch der im Betrieb beschäftigte Straßenbahnfahrer, haftet.
b) Aber auch bzgl. der Beklagten zu 1) war die Klage abzuweisen.
Zwar greift hier, anders als beim Beklagten zu 2), die Anspruchsgrundlage des § 1 I HPflG. Allerdings tritt im Rahmen der gem. § 17 I, II, IV StVG vorzunehmenden Haftungsverteilung (vgl. auch König in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 44. Aufl., § 17 StVG, Rdnr. 37 m.w.N.) die - nicht verschuldensbedingt erhöhte - Betriebsgefahr der Beklagten-Straßenbahn hinter dem groben Verschulden des Klägers vollständig zurück (vgl. hierzu auch König in Hentschel/König/Dauer, a.a.O., § 17 StVG, Rdnr. 43 m.w.N.).
aa) Zunächst ist bezüglich des Unfallorts darauf hinzuweisen, dass es - entgegen der Darstellung des Klägers (vgl. S. 2 der Berufungserwiderung = Bl. 199 d.A.) - auf der C.str. in dem Bereich, in dem der Kläger abgebogen ist, eine Linksabbieger- und eine Geradeausspur gibt. Der F.-M.-Weg beschreibt einen Bogen und mündet an zwei Stellen in Fahrtrichtung des Klägers links in die C.str. ein; zunächst bildet er zusammen mit der R.-U.-Str. eine Kreuzung, sodann, weiter nordöstlich, mit der K.straße. An der Kreuzung mit der K.str. gibt es auf der C.str. in Fahrtrichtung Nordost sowohl eine gemeinsame Geradeaus- und Rechtsabbiegerals auch eine separate Linksabbiegerspur. Nach der vom Kläger selbst gefertigten Skizze, welche als Anlage zum Protokoll der erstinstanzlichen Sitzung vom 14.07.2015 genommen wurde (vgl. Bl. 48 d.A.), bog der Kläger von der Linksabbiegerspur auf den Schienenbereich ab. Auch das Gutachten des Sachverständigen S. vom 07.03.2016 geht von der Kreuzung mit der K.str. als Unfallort und einem dort vorhandenen Linksabbiegerstreifen aus (vgl. insb. Gutachten S. 15 = Bl. 81 d.A.).
bb) Wenn auch in der Begründung widersprüchlich sowie knapp, hat das Erstgericht doch im Ergebnis zutreffend festgestellt, dass der Kläger grob verkehrswidrig gegen § 9 I 3 StVO verstoßen hat. Denn selbst wenn er bereits fünf bis sieben Sekunden im Gleisbereich gehalten haben sollte, ehe es zur Kollision kam, hätte er bereits beim Einfahren in den Gleisbereich die herannahende Straßenbahn sehen können. Dies ergibt sich aus S. 16/17 des Ergänzungsgutachtens des Sachverständigen Dipl.-Ing. Dr. S. vom 21.12.2016 (= Bl.144/145 d.A.). Demzufolge befand sich die herannahende Straßenbahn - bei (späteren) Haltezeiten des Klägers von mindestens fünf bis sieben Sekunden - in einer Entfernung von ca. 69 m bis 95 m zum klägerischen Pkw und war für den Kläger in jedem Fall zu erkennen...