Leitsatz (amtlich)
1. Gegen eine Aufklärung des Patienten durch einen Arzt im Praktikum, zumal nach vorheriger Rücksprache mit dem Stationsarzt, bestehen keine Bedenken.
2. Es muss durchgehend eine Behandlung nach dem Facharztstandard sichergestellt sein. Dies kann auch dadurch geschehen, dass der Operateur vor der formellen Anerkennung als Facharzt auf Grund seiner im Rahmen der bisherigen Ausbildung gesammelten Kenntnisse und Fähigkeiten nachweislich die Gewähr für die Einhaltung des fachärztlichen Standards bietet.
Normenkette
BGB § 823
Verfahrensgang
LG München I (Aktenzeichen 9 O 1575/97) |
Tenor
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des LG München vom 13.8.2001 wird zurückgewiesen.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, sofern die Beklagten nicht vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten.
IV. Die Beschwer der Klägerin beträgt 20.451,67 Euro (40.000 DM).
Tatbestand
Die Klägerin verlangt von den Beklagten Schmerzensgeld wegen behaupteter fehlerhafter ärztlicher Behandlung.
Am 18.1.1994 begab sich die Klägerin, die seinerzeit gesetzlich krankenversichert war, wegen eines schmerzhaften Knotens am Hals in die Ambulanz der chirurgischen Abteilung des Städtischen Krankenhauses …, dessen Trägerin die Beklagte zu 1) ist. Nachdem bereits bei früheren Operationen 4 Lipome im Bereich der rechten Mamma, der rechten Axilla und des rechten Oberarms entfernt worden waren, wurde am 18.1.1994 eine kirschkerngroße Raumforderung am Rande des rechten Musculus trapezius befundet und die Indikation zur operativen Entfernung gestellt. Die Aufnahme der Klägerin zur stationären Behandlung im Städtischen Krankenhaus … erfolgte am 26.1.1994. An diesem Tag unterzeichnete die Klägerin das Formblatt „Einwilligung in ärztlichen Eingriff”. Der Beklagte zu 2), der damals den Namen … führte, operierte am 27.1.1994 die Klägerin unter Assistenz eines Studenten im praktischen Jahr und entfernte eine Fettgewebsgeschwulst sowie zwei kleinere Lymphknoten im Bereich des rechten lateralen Halsdreiecks. Am 3. postoperativen Tag wurde die Klägerin aus der stationären Behandlung entlassen. In der Folgezeit wurde die Klägerin durch andere Ärzte mit Spritzen, Massagen und Krankengymnastik behandelt. Im September 1994 untersuchte der Beklagte zu 2) die Klägerin erneut und stellte dabei ein Bewegungsdefizit im Bereich der rechten Schulter fest. Nachdem im Anschluss an den Eingriff vom 27.1.1994 im Krankenhaus … keine Untersuchung zur Feststellung von Nervenläsionen vorgenommen worden war, wurde nunmehr unter Hinzuziehung eines Neurologen eine Läsion des nervus accessorius diagnostiziert.
Die Klägerin verlor ihren Arbeitsplatz bei der Fa. … und bezieht seit Februar 1996 eine Erwerbsunfähigkeitsrente i.H.v. 1.258 DM.
Der Beklagte zu 2) befand sich zum Zeitpunkt der Durchführung der Operation vom 27.1.1994 noch in der Facharztausbildung. Er hatte diese am 1.5.1986 aufgenommen. Die Facharztprüfung legte er im September 1995 mit Erfolg ab. Wegen der vom Beklagten zu 2) bis zum 27.1.1994 durchgeführten Operationen wird auf den zwischen den Parteien unstreitigen Operationskatalog (Anlage zum Schriftsatz der Beklagten vom 14.2.2002) sowie die vom Beklagten im Termin vom 21.2.2002 übergebene ebenfalls unstrittige chronologische Operationsaufstellung verwiesen. Der Beklagte zu 2) hatte aufgrund der bis zum 27.1.1994 von ihm durchgeführten Operationen zu diesem Zeitpunkt die Facharztreife erlangt.
Die Ambulanz im Städtischen Krankenhaus … wird als sog. Chefarztambulanz geführt.
Die Klägerin hat in erster Instanz geltend gemacht, sie sei nicht ordnungsgemäß aufgeklärt worden. Außerdem seien Operation und Nachsorge nicht entspr. den Regeln der ärztlichen Kunst durchgeführt worden. Vor dem Eingriff sei kein Aufklärungsgespräch erfolgt. Den Arzt Dr. … kenne sie nicht. Sie habe das ihr von dem Arzt … vorgelegte Aufklärungsformular unterzeichnet, ohne dass dort handschriftlich Operationsrisiken eingetragen gewesen wären. Die Fehlerhaftigkeit der Operation ergebe sich bereits daraus, dass diese nicht indiziert gewesen sei. Es wäre erforderlich gewesen, den nervus accessorius aufzurichten, zu sichern und mittels einer elektrischen Nervenstimulation zu identifizieren. Bei Einhaltung dieser Sorgfaltsanforderungen wäre eine Schädigung des Nerves vermieden worden. Als Nichtfacharzt habe der Beklagte zu 2) die Operation nicht selbstständig durchführen dürfen. Die Beklagte zu 1) treffe insoweit ein Organisationsverschulden. Die Operationsnachsorge sei fehlerhaft gewesen. Bereits im Februar 1994 habe eine Verpflichtung bestanden, die von der Klägerin geschilderten Beschwerden abzuklären und eine accessorius-Läsion bzw. Lähmung auszuschließen. Bei einer rechtzeitigen Diagnose wäre eine erfolgreich operative Nervenrekonstruktion möglich gewesen. Infolge des eingetretenen Dauerschadens – schwer...