Entscheidungsstichwort (Thema)
Haftung eines faktischen Geschäftsführers für von ihm veranlasste Überweisungen
Leitsatz (amtlich)
1. Die Erteilung einer Auskunft in einem (hier: gerichtlichen) anwaltlichen Schriftsatz genügt zur Erfüllung, wenn aufgrund der Formulierung erkennbar wird, dass der Rechtsanwalt als Bote eine Erklärung des Auskunftspflichtigen bekannt gibt.
2. Eine faktische Geschäftsführung kann angenommen werden, wenn der im Handelsregister eingetragene Geschäftsführer tatsächlich keiner Geschäftsführertätigkeit nachkommt, sich aus den Buchführungsunterlagen keine wie auch immer geartete geschäftliche Tätigkeit des eingetragenen Geschäftsführers ergibt, stets nur der "faktische Geschäftsführer" in Erscheinung tritt und der nominelle Geschäftsführer die Geschäftsführung dem "faktischen Geschäftsführer" überlässt und sich nicht weiter darum kümmert.
3. Zur Frage, wann für den Vortrag von eine Behauptung weiter substantiierenden Tatsachen die Bezugnahme auf die einem Schriftsatz beigefügten Anlagen nach § 130 Nr. 3 ZPO ausreicht.
4. Überweist der faktische Geschäftsführer vom Konto der Gesellschaft Beträge für eine von ihm persönlich an einem anderen Unternehmen gehaltene Einlage sowie auf sein Privatkonto, muss er darlegen und beweisen, das er bei der Überweisung die Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes iSd § 43 Abs. 1 GmbHG angewandt hat; das erfasst auch das Bestehen von von ihm behaupteten eigenen Forderungen gegenüber der Gesellschaft.
Normenkette
BGB § 280 Abs. 1, § 362 Abs. 1, §§ 387, 612, 812, 823 Abs. 2, § 1922; GmbHG § 43 Abs. 1-2, § 64 Abs. 2; ZPO § 128 Abs. 2, § 130 Nr. 3
Verfahrensgang
LG München I (Urteil vom 14.07.2017; Aktenzeichen 23 O 4393/16) |
Tenor
1. Auf die Berufung der Klägerin gegen das Endurteil des Landgerichts München I vom 14.07.2017, Az. 23 O 4393/16, wird das Endurteil vom 14.07.2017 in Ziffer 1. wie folgt abgeändert:
Die Beklagten zu 2) und 3) werden gesamtschuldnerisch verurteilt, an die Klägerin 60.000,00 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 21.03.2015 zu bezahlen.
Die Beklagten zu 2) und 3) werden gesamtschuldnerisch verurteilt, an die Klägerin weitere 40.000,00 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 18.02.2017 zu bezahlen.
Die Beklagten zu 2) und 3) werden gesamtschuldnerisch verurteilt, an die Klägerin vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.642,40 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 04.05.2016 zu bezahlen.
Im Übrigen wird die Berufung der Klägerin zurückgewiesen und bleibt die Klage abgewiesen.
2. Von den Gerichtskosten tragen die Klägerin 6%, die Beklagten zu 2) und 3) als Gesamtschuldner 94%.
Die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 1) trägt die Klägerin.
Von den außergerichtlichen Kosten der Klägerin tragen die Beklagten zu 2) und 3) gesamtschuldnerisch 94%; im Übrigen trägt die Klägerin ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
Die Beklagten zu 2) und 3) tragen ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
3. Dieses Urteil sowie das in Ziffer 1. bezeichnete Endurteil des Landgerichts München I, soweit es noch Bestand hat, sind vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin kann die Vollstreckung der Beklagten zu 1) durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 Prozent des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte zu 1) vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 Prozent des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Beklagten zu 2) und 3) können die Vollstreckung der Klägerin durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 Prozent des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 Prozent des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
4. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.
5. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 175.000 EUR festgesetzt.
Tatbestand
A. Die Parteien streiten um Auskunftsansprüche der Klägerin gegen die Beklagte zu 1) sowie um Schadensersatzansprüche der Klägerin gegen die Beklagten zu 2) und 3).
Bei der Klägerin handelt es sich um eine 2004 gegründete Gesellschaft, deren Geschäftsgegenstand der Vertrieb von Waagen- und Wägesysteme war. Alleinige Gesellschafterin ist Frau Gabriele G., die auch als Geschäftsführerin der Klägerin in das Handelsregister eingetragen war. Prokurist der Klägerin war bis zu seinem Tod am 24.10.2014 Dieter G. Die Gesellschaft befindet sich in Liquidation; Liquidatorin ist Frau Gabriele G.
Die Beklagte zu 1) mit dem Geschäftszweck "Handel mit Waagen aller Art und elektronischen Registrierkassen sowie damit verbundene Serviceleistungen" wurde von Dieter G. 2010 gegründet. Sie hatte ihren Sitz am Sitz der Klägerin. Dieter G. war bis zu seinem Tod auch deren Geschäftsführer.
Die Beklagten zu 2) und 3) sind die Alleinerben des Dieter G. und seit dessen Tod Geschäftsführer der Beklagten zu 1).
Mit Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten vom 10.08.2016 (dort S. 5, Bl. 46 d.A.) ...