Leitsatz (amtlich)
1. Einer auf eine Eingriffskondiktion gemäß § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 BGB gestützten Klage liegen eine "Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, oder (...) Ansprüche aus einer solchen Handlung" im Sinne von Art. 7 Nr. 2 EuG-VVO zugrunde, wenn nach dem Vortrag der Klägerin in ihre urheberrechtlichen Befugnisse zur öffentlichen Wiedergabe eingegriffen worden sein soll, da ein unmittelbarer Zusammenhang mit einer unerlaubten Handlung besteht und sowohl die Gleichbehandlung mit Ausgleichsklagen bei Privatkopien nach der InfoSoc-Richtlinie (RL 2001/29/EG) als auch die Kohärenz zwischen internationalem Zivilprozessrecht und Kollisionsrecht in Form von Art. 10 Abs. 1 Rom II-VO für eine Anwendung von Art. 7 Nr. 2 EuGVVO sprechen.
2. Auf eine vor dem Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union gemäß Art. 50 EUV (sog. Brexit) erhobene Klage gegen eine auf den Britischen Jungferninseln ansässige Beklagte findet Art. 7 Nr. 2 EuGVVO keine Anwendung, weil für dieses Überseegebiet nach Art. 355 Abs. 2 Satz 1 AEUV in Verbindung mit Anhang II zum AEUV, vorletzter Spiegelstrich, nur das in Art. 198 ff. AEUV festgelegte besondere Assoziierungssystem galt und weder die EuGVVO ihre Geltung für die Mitgliedstaaten auf die überseeischen Länder und Hoheitsgebiete erstreckt noch Art. 7 Nr. 2 EuGVVO eine vom Wohnsitz bzw. Sitz der Beklagten unabhängige Geltung beansprucht.
3. Erklärt die Beklagte in der Berufungsinstanz, die Rüge der fehlenden internationalen Zuständigkeit nicht mehr aufrechterhalten zu wollen, kann ein Fehlen der internationalen Zuständigkeit, das in erster Instanz gerügt wurde, nicht nachträglich in der Berufungsinstanz, für die § 39 ZPO keine Anwendung findet, durch rügeloses Verhandeln geheilt werden.
4. Der Begriff der unerlaubten Handlung in § 32 ZPO ist als eigenständiger Begriff des Prozessrechts aufzufassen und umfasst bei der Nutzung und Verletzung gewerblicher Schutzrechte und Urheberrechte auch Ansprüche aus ungerechtfertigter Bereicherung in der Variante der Eingriffskondiktion, da diese sich in dem weiten, von § 32 ZPO intendierten Sinne als eine Form von unerlaubter - weil der Rechtsordnung zuwiderlaufender - Handlung darstellt.
Normenkette
AEUV Anhang II; AEUV Art. 198 ff., Art. 355 Abs. 2 S. 1; BGB § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 2; EuGVVO Art. 7 Nr. 2; EUV Art. 50; Rom II-VO Art. 10 Abs. 1; ZPO §§ 32, 39
Verfahrensgang
LG München I (Aktenzeichen 7 O 8215/16) |
Tenor
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 31.08.2017, Az. 7 O 8215/16 wird zurückgewiesen.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
III. Dieses Urteil und das Urteil des Landgerichts sind vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 115 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 115 % des zu vollstreckenden Betrages leisten.
Gründe
I. Die Parteien streiten um bereicherungsrechtlichen Wertersatz für den Gebrauch von insgesamt 16 Filmen auf der Video-Hosting-Plattform ... sowie um entsprechende Auskunftsansprüche.
Die Klägerin ist eine in München ansässige Filmverwerterin.
Die Beklagten bieten Leistungen im Zusammenhang mit ... an. Die Beklagte zu 1) mit Sitz in Kalifornien, USA, betrieb die Plattform ... . Die in Dublin, Irland, ansässige Beklagte zu 2) lieferte hierfür Werbung und betreibt nunmehr die Plattform ... . Die Beklagte zu 3), die ihren Sitz ebenfalls in Kalifornien, USA, hat, ist Inhaberin der beiden Domains www.....com und www.....de. Die Beklagte zu 4) mit Sitz auf den Britischen Jungferninseln steht außerhalb des Konzernverbunds der Beklagten zu 1) bis 3) und unterstützt ...-Nutzer bei der finanziellen Auswertung ihrer Inhalte.
Die von Internetnutzern auf die Plattform ... hochgeladenen Videos werden von den Beklagten zu 1) bis 3) inhaltlich nicht kontrolliert. Die Uploader selbst haben aber die Möglichkeit, im Rahmen des Uploads Merkmale zu setzen, die auf den Inhalt des hochgeladenen Materials hinweisen. Für das bei einem Upload erforderliche Nutzerkonto bedarf es lediglich einer gültigen E-Mail-Adresse. Die Richtigkeit sonstiger Angaben der Nutzer wird nicht überprüft.
Um ihre Inhalte mit Werbung versehen zu lassen und am sogenannten ...-Partnerprogramm (Anlage B 7) teilzunehmen, müssen registrierte Uploader zusätzlich einen ...-Kanal erstellen. Danach können sie ihr Konto für die Monetarisierung aktivieren, wobei sie sich im Rahmen der zustimmungsbedürftigen Bedingungen verpflichten, keine Videos zur Monetarisierung freizugeben, für die sie nicht über die notwendigen Rechte verfügen.
Werden Videos monetarisiert, erhält der Uploader 55 % der mit seinem Kanal erzielten Werbeeinnahmen, während der Rest bei den Beklagten zu 1) bis 3) verbleibt. Für die Auszahlung seines Anteils muss der Uploader eine sogenannte Ad-Sense-Vereinbarung abschließen (Anlage B 9), für die er seinen Namen, seine Adresse sowie seine Kontove...