Entscheidungsstichwort (Thema)

Verkehrsunfall, Berufung, Gutachten, Gesundheitsschaden, Zusammenhang, Kopfschmerzen, Unfallereignis, Beurteilung, Unfallgeschehen, Neurologie, Beweis, Schwindel, Wahrscheinlichkeit, Untersuchung, medizinisches Gutachten, Einholung eines Gutachtens, ambulante Untersuchung

 

Verfahrensgang

LG München II (Urteil vom 02.10.2019; Aktenzeichen 11 O 3244/17)

 

Tenor

1. Die Berufung der Klägerin vom 25.10.2019 gegen das Endurteil des LG München II vom 02.10.2019 (Az. 11 O 3244/17) wird zurückgewiesen.

2. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits (erster und zweiter Instanz).

3. Das vorgenannte Urteil des Landgerichts sowie dieses Urteil sind jeweils ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

5. Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 9.837,87 EUR festgesetzt.

 

Gründe

A. Von der Darstellung der tatsächlichen Feststellungen wird abgesehen (§§ 540 II, 313 a I 1 ZPO i. Verb. m. § 544 II Nr. 1 ZPO).

B. Die statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte und begründete, somit zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg.

I. Das Landgericht hat zu Recht einen Anspruch der Klägerin gegenüber der Beklagten auf Schadensersatz aus dem Unfallgeschehen vom 05.01.2017 in der B.straße in ... P. nach §§ 7, 11 II StVG, 823 ff., 253 II BGB i. V.m. 115 I VVG verneint, da es sich nicht die erforderliche Überzeugung nach § 286 I 1 ZPO dahingehend bilden konnte, dass die Klägerin bei dem Unfall ein HWS-Schleudertrauma erlitten hat, das mit starken Kopfschmerzen, Schwindel und Sehstörungen einherging.

Hierbei ist das Erstgericht zu Recht von dem Beweismaß des § 286 I 1 ZPO ausgegangen. Bei der Prüfung strittiger Körper- und Gesundheitsschäden ist grundsätzlich zwischen "Primärschäden" (Primärverletzungen) und "Sekundär- oder Folgeschäden" (Sekundärverletzungen) zu unterscheiden (BGH NJW 1988, 2948), wobei erstere unmittelbar verursachte haftungsbegründende Körper-/Gesundheitsschädigungen betreffen, und im Recht der unerlaubten Handlungen eine Rechtsgutsverletzung im Sinne der Haftungstatbestände (§§ 823 BGB, 11 StVG) begründen (BGH r+s 2013, 570 = NJW 2013, 3634). Letztere bilden erst durch den eingetretenen Gesundheitsschaden entstandene Schädigungen, im Verkehrsunfallrecht aufgrund der Erstverletzung. Für Erstverletzungen gilt das strenge Beweismaß des § 286 I 1 ZPO, das die volle Überzeugung des Gerichts erfordert (vgl. BGH, VersR 2019, 694, 695). Hingegen kann sich ein Geschädigter (erst dann) auf das erleichterte Beweismaß des § 287 ZPO stützen, wenn der haftungsbegründende Tatbestand feststeht. Nur soweit die haftungsausfüllende Kausalität in Streit steht, also ob ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der primären Rechtsgutverletzung und - hieraus resultierenden - weiteren Gesundheitsschäden des Geschädigten (Sekundärschäden) besteht, kann nach § 287 ZPO zur Überzeugungsbildung des Gerichts eine hinreichende bzw. überwiegende Wahrscheinlichkeit genügen (vgl. BGH, VersR 2019, 694, 695) (vgl. auch Senat, Urteil vom 13. Oktober 2017 - 10 U 3415/15 -, Rn. 30, juris). In beiden Fällen reicht jedenfalls die bloße zeitliche Nähe zwischen dem Unfallereignis und der Entstehung der Beschwerden und die daran anknüpfende "gefühlsmäßige" Wertung, beide Ereignisse müssten irgendwie miteinander in Zusammenhang stehen, nicht aus (BGH NJW 2004, 777 [778]; OLG Saarbrücken SP 2006, 134; OLG Brandenburg, Urt. v. 25.9.2008 - 12 U 17/08 [juris]; KG, Beschluss vom 3.12.2009 - 12 U 232/08 [juris]; Senat, Urt. v. 21.5.2010 - 10 U 2853/06 [juris Rz. 124]). Einer solchen Wertung liegt der fehlerhafte Schluss aus der bloßen Zeitfolge auf ein Ursachenverhältnis, aus dem bloßen Folgen auf ein Erfolgen, zugrunde (vgl. hierzu im Zusammenhang mit HWS-Distorsionsverletzungen grdl. Schweizer Bundesgericht, Urt. v. 18.5.1993 - BGE 119 V 335 [341 f.]; aus der deutschen Rechtsprechung Senat, Urt. v. 21.5.2010 - 10 U 2853/06 [juris, Rz. 124]).

Im Ergebnis hat das Erstgericht zutreffend festgestellt, dass ein kausaler Zusammenhang zwischen der von der Klägerin behaupteten HWS-Distorsion und dem streitgegenständlichen Unfallereignis von der insoweit darlegungs- und beweisbelasteten Klägerin nicht bewiesen werden konnte.

Soweit das Erstgericht allerdings für die Frage der Unfallursächlichkeit der behaupteten Beschwerden nur auf das Ergebnis des erholten unfallanalytischen/biomechanischen Gutachtens des Sachverständigen Dipl.-Ing. Dr. A. abstellt, hat die Klägerin zu Recht in ihrer Berufung gerügt (vgl. Seite 3 der Berufungsbegründung = Bl. 127 d. A.), dass das Erstgericht es versäumt habe, auf der Grundlage des biomechanischen Gutachtens ein medizinisches Gutachten zur Beurteilung der besonderen Konstitution der Klägerin einzuholen (vgl. Senat, Urteil vom 25. Oktober 2019 - 10 U 3171/18 -, Rn. 36, juris = NJW-Spezial 2019, 745 m. w. N.). Der Senat hat daher mit Beweisbeschluss vom 11.02.2020 (Bl. 136/139 d. A.) die Einholung medizinischer Gutachten auf dem Gebiet der Orthopädie/Unfallchirur...

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