Verfahrensgang
LG München I (Entscheidung vom 18.04.2007; Aktenzeichen 9 O 7855/04) |
Tenor
I. Auf die Berufung des Klägers hin wird das Urteil des Landgerichts München I vom 18.04.2007, Az. 9 O 7855/04 aufgehoben.
II. Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger ein Schmerzensgeld von 50.000,00 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten hieraus über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 14.07.2004 zu bezahlen.
III. Es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger jeglichen weiteren materiellen und immateriellen Schaden, der durch die fehlerhafte Behandlung im Oktober 2001 verursacht worden ist, zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind.
IV. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
V. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, sofern der Kläger nicht vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
VI. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
A.
Der Kläger verlangt Schmerzensgeld und Feststellung der Ersatzpflicht für weitere materielle und immaterielle Schäden wegen behaupteter fehlerhafter Behandlung durch Ärzte des Beklagten.
Bei dem am 01.12.1945 geborenen Kläger wurden ab November 2000 erhöhte PSA-Werte festgestellt. Er begab sich deshalb in Behandlung in das beklagte Klinikum. Dr. S., einer der urologischen Fachärzte des Beklagten, veranlasste am 04.09.2001 eine Prostatabiopsie beim Kläger. Bei der Untersuchung der sechs entnommenen Stanzen durch das Pathologische Institut der Universität M. wurde in einer Stanze ein gering drüsig wachsendes Prostatakarzinom (weniger als 20 % des Stanzzylinders, Gleason-Score von 3 + 2 = 5) festgestellt. Dr. S. besprach mit dem Kläger den Befund und vereinbarte einen operativen Eingriff. Am 11.10.2001 führten die Ärzte des Beklagten beim Kläger eine radikale Prostatovesikulektomie mit regionaler Lymphadenektomie durch. In dem bei der Operation entnommenen Gewebe konnten maligne Veränderungen nicht festgestellt werden. Der postoperative Verlauf war komplikationsreich. Es kam zu einem akuten anurischen Nierenversagen und HB-Abfall, was die Verabreichung von Bluttransfusionen erforderlich machte, sowie zu einer Lymphödembildung. Die Wundheilung verzögerte sich, eine Wundbehandlung mit Sekundärnaht war erforderlich. Der Kläger musste außerdem mehrere Wochen lang einen Dauerkatheter tragen. Die stationäre Behandlung des Klägers in der beklagten Klinik dauerte von 09.10.2001 bis 08.11.2001 - hiervon zwei Tage in der Intensivstation - und vom 12.11.2001 bis 16.11.2001. Anschließend befand er sich bis 14.12.2001 in Reha-Behandlung.
Zum Zeitpunkt der Behandlung und Operation war Rechtsträger des Beklagten der Freistaat Bayern. Seit 01.06.2006 hat der Beklagte aufgrund des Bayerischen Universitätsklinikgesetzes als Anstalt des öffentlichen Rechts des Freistaates Bayern die im Zusammenhang mit Behandlungen im bisherigen Klinikum als Staatsbetrieb begründeten Rechte und Pflichten übernommen. Der Kläger richtete daraufhin seine ursprünglich gegen den Freistaat Bayern erhobene Klage gegen den Beklagten.
Der Kläger hat in 1. Instanz vorgetragen, die radikale Prostatovesikulektomie sei nicht indiziert gewesen. Tatsächlich habe gar kein Karzinom vorgelegen, das man hätte operieren müssen. Da ein vollständiges "Ausschneiden" des Tumors bei der Biopsie gänzlich unwahrscheinlich sei, müsse es zu einer Verwechslung des Materials gekommen sein oder die Stanzen seien nicht korrekt befundet worden. Zumindest sei der Rat zur Operation voreilig gewesen, es hätten weitere Untersuchungen und Beratungsgespräche stattfinden müssen. Auch sei der Kläger nicht ausreichend über alternative Behandlungsmethoden, insbesondere über die Möglichkeit einer Strahlenbehandlung in Form der Seeds-Therapie oder des Afterloading-Verfahrens aufgeklärt worden. Infolge der Operation leide er unter massiver Harnstressinkontinenz sowie Ejakulations- und Erektionsunfähigkeit mit vollständigem Verlust der Kohabitationsfähigkeit. Die gesundheitlichen Folgen der Operation seien für ihn beruflich wie privat schwer belastend und würden ein Schmerzensgeld von mindestens 50.000 Ç rechtfertigen.
Der Kläger hat in 1. Instanz beantragt,
1. Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger einen in das Ermessen des Gerichts gestellten Schmerzensgeldbetrag nebst 5 % Zinsen hieraus über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu bezahlen.
2. Es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger jeglichen weiteren materiellen und immateriellen Schaden, der durch die fehlerhafte Behandlung im Oktober 2001 verursacht worden ist, zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergehen.
Der Beklagte hat in 1. Instanz beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte hat vorgetragen, den behandelnden Ärzten seien keinerlei Fehler im Zusammenhang mit der Behandlung des Klägers vorzuwerfe...