Entscheidungsstichwort (Thema)
Mitverschuldensquote des nicht angeschnallten Geschädigten bei einem Verkehrsunfall
Leitsatz (amtlich)
1. Aus Gründen praktischer Handhabung ist es geboten, bei verschiedener Auswirkung des Nichtangurtens auf einzelne Verletzungen unter Abwägung aller Umstände, insbesondere der von den Verletzungen ausgehenden Folgeschäden, deren vermögensrechtliches Gewicht je nach der Verletzung verschieden sein kann, eine einheitliche Mitschuldquote zu bilden (ebenso BGH BeckRS 2012, 9749).
2. Da bei einer angegurteten normalen Sitzposition das Risiko, schwere Knieverletzungen zu erleiden, deutlich geringer als bei einem nicht angegurteten Insassen ausfällt, ist - wenn der geschädigte Pkw-Fahrer nicht angeschnallt war und sich im wesentlichen langwierige Knieverletzungen zugezogen hat - eine Mitverschuldensquote von 30% angemessen.
3. Hat der Geschädigte auf seinen erlittenen Haushaltsführungs- und Verdienstausfallschaden Zahlungen Dritter erhalten, sind bei der Ermittlung eines gegenüber dem Schädiger ersatzfähigen Erwerbsschadens zuerst der Mitverschuldensanteil des Geschädigten und nachfolgend die erhaltenen Zahlungen in Abzug zu bringen.
4. Eine "tagesgenaue" Bemessung von Schmerzensgeld ist nicht vorzunehmen (entgegen OLG Frankfurt a. M., BeckRS 2018, 27125).
Normenkette
BGB §§ 155, 253 Abs. 2, § 254 Abs. 2; StVG § 17 Abs. 1-2; StVO §§ 1, 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1, § 21a Abs. 1 S. 1
Verfahrensgang
LG Passau (Entscheidung vom 26.07.2019; Aktenzeichen 4 O 740/15) |
Nachgehend
Tenor
I. Auf die Berufung des Klägers vom 07.09.2018 und die Anschlussberufung der Beklagten vom 25.02.2019 wird das Endurteil des LG Passau vom 17.08.2018 (Az. 4 O 740/15 abgeändert und wie folgt neu gefasst:
1. Es wird festgestellt, dass die Schmerzensgeldzahlung der Beklagten in Höhe von 16.000,00 EUR Teil-Schmerzensgeldleistungen darstellen.
2. Es wird festgestellt, dass die Beklagten gesamtschuldnerisch verpflichtet sind, samtverbindlich dem Kläger 70% sämtlicher weiterer materieller Schäden zu ersetzen, die dem Kläger aus dem Unfall vom 13.07.2013 bei O. (... O., Staats straße 2119, Abschnitt 260 - km 0.550, Lkr. P.) künftig entstehen, sowie sämtliche weiteren immateriellen Schäden aus diesem Unfall unter Berücksichtigung einer Mitverursachungsquote von 30% zu tragen.
3. Die Beklagten werden verurteilt, an den Klägervertreter samtverbindlich vorgerichtliche Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 1.100,51 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über Basiszinssatz seit 12.11.2015 zu zahlen.
4. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
5. Von den Kosten des Rechtsstreits erster Instanz tragen der Kläger 78% und die Beklagten samtverbindlich 22%.
Im Übrigen werden die Berufung des Klägers und die Anschlussberufung der Beklagten zurückgewiesen.
II. Von den Kosten des Berufungsverfahrens tragen der Kläger 73% und die Beklagten samtverbindlich 27%.
III. Das Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Jede Partei kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die jeweils andere Partei vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrags leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
A. Der Kläger macht gegen die Beklagten Schadensersatzansprüche aus einem Verkehrsunfall vom 13.07.2013 auf der Staats straße 2119 bei Abschnitt 260 - Kilometer 0.550 - geltend. Dabei übersah der Beklagte zu 2), dass die vor ihm fahrenden Fahrzeuge ihre Fahrt verkehrsbedingt verlangsamen mussten. Er fuhr deswegen auf den vor ihm fahrenden Pkw auf, welcher zunächst auf den davor fahrenden Pkw aufgeschoben und dieser auf die Gegenfahrbahn geschoben wurde. Dort kollidierte dieser mit dem Pkw des Klägers. Bei diesem Unfall wurde der Kläger als Fahrzeugführer schwer verletzt. Das Klägerfahrzeug war mit Frontairbags ausgerüstet, welche kollisionsbedingt ordnungsgemäß öffneten. Der Pkw war ferner auch mit Sicherheitsgurten ausgerüstet. Einen Sicherheitsgurt hatte der Kläger nicht angelegt.
Hinsichtlich des Parteivortrags und der tatsächlichen Feststellungen erster Instanz wird im Übrigen auf das angefochtene Urteil vom 19.04.2012 (Bl. 229/232 d. A.) Bezug genommen (§ 540 I 1 Nr. 1 ZPO).
Das Landgericht hat nach Beweisaufnahme die Beklagten nebst vorgerichtlichen Anwaltskosten zur Zahlung von 1.286,94 EUR nebst Zinsen verurteilt. Außerdem wurde festgestellt, dass die Beklagten verpflichtet sind, dem Kläger sämtliche Schäden an seinen Knien zu ersetzen, die kausale Folge des Unfalls vom 13.07.2013 sind und mit der Kreuzbandplastik aus dem Jahre 2009 in keinem Zusammenhang stehen, soweit solche Ansprüche nicht auf Dritte übergegangen sind. Im Übrigen wurde die Klage abgewiesen.
Hinsichtlich der Erwägungen des Landgerichts wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug genommen.
Gegen dieses dem Kläger am 24.08.2018 zugestellte Urteil legte der Kläger mit einem beim Oberlande...