Entscheidungsstichwort (Thema)

Keine sittenwidrige Schädigung des Erwerbers eines mit Thermofenster und Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung ausgestatteten Mercedes-Diesel-Fahrzeugs (hier: Mercedes-Benz GLK 220 BlueTec 4Matic)

 

Leitsatz (amtlich)

1. Vgl. auch zur Thematik des "Thermofensters" bei Mercedes-Fällen grundlegend BGH BeckRS 2021, 847; BeckRS 2021, 30607 sowie BGH BeckRS 2022, 12054; BeckRS 2022, 12451; BeckRS 2022, 7010; BeckRS 2021, 33847; BeckRS 2021, 33038; BeckRS 2021, 31797 mit zahlreichen weiteren Nachweisen in dortigem Ls. 1; OLG München BeckRS 2021, 39386; OLG Stuttgart; OLG Karlsruhe BeckRS 2022, 34840. (redaktioneller Leitsatz)

2. Vgl. auch zur Thematik der "Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung" bei Mercedes-Fällen grundlegend BGH BeckRS 2021, 33038; BeckRS 2021, 38651; BeckRS 2022, 7010; BeckRS 2022, 12628; BeckRS 2022, 14779 sowie OLG Koblenz BeckRS 2020, 9935; BeckRS 2021, 51800; BeckRS 2022, 25058; BeckRS 2022, 25061; BeckRS 2022, 25064; BeckRS 2022, 25076; OLG Schleswig BeckRS 2020, 37024; OLG Brandenburg BeckRS 2021, 7532; OLG München BeckRS 2021, 29932; OLG Karlsruhe BeckRS 2022, 34840; anders OLG Köln BeckRS 2021, 10226.

3. Die Umstellung vom kleinen Schadensersatzanspruch auf den großen, verbunden mit Anträgen auf Verurteilung zur Leistung Zug um Zug und auf Feststellung des Annahmeverzugs ist nach § 264 Nr. 2 ZPO nicht als Klageänderung anzusehen und wird daher auch in der Berufungsinstanz nicht durch § 533 ZPO ausgeschlossen. (Rn. 12)

4. Selbst wenn entsprechend der in den Schlussanträgen des Generalanwaltes Rantos vertretenen Auffassung davon ausgegangen würde, die RL 2007/46/EG solle (auch) das Interesse des individuellen Erwerbers eines Kraftfahrzeugs schützen, kein Fahrzeug zu erwerben, das mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet ist, handelte es sich bei den zur Umsetzung der Richtlinie erlassenen § 6 und § 27 EG-FGV nicht um Schutzgesetze im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB. (Rn. 37)

 

Normenkette

BGB § 823 Abs. 2, § 826; EG-FGV § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1; EGV 715/2007 Art. 5

 

Verfahrensgang

LG Memmingen (Urteil vom 26.02.2021; Aktenzeichen 32 O 710/20)

 

Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Memmingen vom 26.02.2021, Az. 32 O 710/20, wird zurückgewiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts Memmingen ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Leistung einer Sicherheit in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.

4. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I. Die Parteien streiten um Schadensersatzansprüche im Zusammenhang mit dem Erwerb eines Fahrzeugs mit Dieselmotor.

Der Kläger erwarb von dem Autohaus H. & W. GmbH in I. am 21.04.2018 (Anlage K 1) einen Gebrauchtwagen Mercedes-Benz GLK 220 BlueTec 4Matic (Erstzulassung 22.01.2015) mit einer Laufleistung von 51.654 km zu einem Kaufpreis von 28.825,00 EUR. In dem Fahrzeug ist ein von der Beklagten hergestellter Dieselmotor der Baureihe OM 651 (Schadstoffklasse Euro 6) verbaut. Für das streitgegenständliche Fahrzeug besteht ein amtlicher Rückruf seitens des Kraftfahrt-Bundesamts (KBA), der allerdings nicht bestandskräftig ist. Der Kilometerstand am 13.01.2023 lag bei 80.336 km.

Der Kläger hat im Verfahren vor dem Landgericht Memmingen geltend gemacht, der in seinem Fahrzeug verbaute Motor der Baureihe OM 651 sei mit unzulässigen Abschalteinrichtungen versehen. Da ihn die Beklagte vorsätzlich sittenwidrig geschädigt habe, könne er Rückzahlung des Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung Zug um Zug gegen Übereignung des Fahrzeugs verlangen. Bezüglich des Sach- und Streitstands der ersten Instanz wird auf den Tatbestand des Ersturteils vom 26.02.2021 Bezug genommen.

Das Landgericht hat die auf Erstattung des kleinen Schadensersatzes nach Ermessen des Gerichts, jedoch mindestens von 7.206,25 EUR, sowie auf Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten gerichtete Klage mit dem angegriffenen Urteil abgewiesen. Es bestünden keine vertraglichen oder vertragsähnlichen Ansprüche. Mit deliktischen Ansprüchen könne ein kleiner Schadensersatzanspruch nicht begründet werden. Zudem bestehe insgesamt kein Anspruch aus vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung sowie aus § 823 Abs. 2 BGB i.V. m. § 263 StGB, §§ 6, 27 EG-FGV oder aus § 831 BGB.

Mit der form- und fristgerecht eingelegten Berufung macht der Kläger nunmehr den großen Schadensersatzanspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs sowie die Feststellung des Annahmeverzugs sowie weiterhin die Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten geltend.

Er beanstandet, das Landgericht habe ein unvertretbares Normverständnis der Beklagte zugrunde ge...

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