Leitsatz (amtlich)

1. Eine Körperverletzungshandlung kann trotz Einwilligung auf Grund der konkreten, die Tatausführung begleitenden Umstände gegen die guten Sitten verstoßen und rechtswidrig sein (§ 228 StGB).

2. Die Sittenwidrigkeit wechselseitiger Körperverletzungen bei tätlichen Auseinandersetzungen zwischen rivalisierenden Gruppen kann sich trotz fehlender konkreter Lebensgefahr sowohl aus der ex ante zu beurteilenden unkontrollierbaren Eskalationsgefahr des Tatgeschehens mit nicht ausschließbaren gravierenden Körperverletzungsfolgen bis hin zu einer konkreten Lebensgefahr bezüglich einzelner Teilnehmer (im Anschluss an BGH, Beschluss v. 20.2.2013, 1 StR 585/12) als auch aus einer konkret gegebenen Gefährdung von Rechtsgütern Dritter ergeben.

3. Der Schutz des Selbstbestimmungsrechts über die eigene körperliche Integrität kann nur soweit gehen, als dadurch keine Grundrechte Dritter beeinträchtigt werden. Bei der Wahl des öffentlichen Verkehrsraums als "Austragungsort" einer konsentierten Prügelei ist absehbar, dass unbeteiligte Dritte in die tätlichen Auseinandersetzungen mit hineingezogen und in ihren Rechten, insbesondere in ihrer Willensentschließungsfreiheit und der körperlichen Integrität verletzt werden.

 

Normenkette

StGB §§ 125, 228

 

Tatbestand

Das Amtsgericht München sprach den Angeklagten am 10.5.2012 der vorsätzlichen Körperverletzung in Tateinheit mit versuchter Körperverletzung schuldig.

Das Landgericht München I hob auf Berufung des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft hin das Urteil des Amtsgerichts München vom 10.5.2012 auf und verurteilte den Angeklagten wegen Landfriedensbruchs. Die weitergehenden Berufungen wurden verworfen. Zum Schuldspruch stellte das Landgericht im wesentlichen folgenden Sachverhalt fest:

Am 22.5.2011 um 13:00 Uhr fand in München im Stadion an der Grünwalder Straße ein Fußballspiel zwischen den U-19-Mannschaften des FC Bayern München und des TSV 1860 München statt. Bereits vor 11:00 Uhr trafen sich der Angeklagte und ca. 50 bis 60 dem TSV 1860 München nahestehende, wie er überwiegend der Fangruppierung "Cosa Nostra" zugehörige Fans in Stadionnähe vor der Augustiner Gaststätte und ca. 120 dem FC Bayern München nahestehende, überwiegend der Fangruppierung "Schickeria" zuzurechnende Fans im Biergarten der ebenfalls in Stadionnähe befindlichen Gaststätte Wienerwald. Gegen 11:45 Uhr brachen die Fans des TSV 1860 München geschlossen auf, um in Richtung Stadion zu gehen und sich dem Block der Bayern Fans anzunähern.

Ein Großteil der Mitglieder aus beiden Fangruppierungen suchte den Streit und die körperliche Auseinandersetzung mit dem Gegner. Soweit in der Folge zwischen Beteiligten aus beiden Fan-Lagern wechselseitig Tätlichkeiten durch Faustschläge, aber auch durch Tritte gegen den Oberkörper ausgeübt wurden, erfolgten diese Tätlichkeiten in stillschweigend erteiltem, wechselseitigem Einvernehmen, wobei eine Unterscheidung zwischen Täter und Opfer, Angreifer und Verteidiger nicht möglich ist. Alle Beteiligten waren sich des Risikos von Verletzungen, die sie infolge der vorhersehbar kurzen Kämpfe erleiden konnten bewusst und erklärten sich mit Verletzungsfolgen wie kurzzeitigen Schmerzen oder Hämatome stillschweigend einverstanden. Anhaltspunkte dafür, dass schwere Verletzungen des Gegners beabsichtigt waren, gab es nicht.

Der Angeklagte selber wollte am Rande des Spieles - im Einvernehmen mit der anonymen, ihn unterstützenden Menge der Fans des TSV 1860 München heraus - seine Aggressionen ausleben und sich vor den anderen Mitgliedern der "Cosa Nostra" durch unerschrockenes, rauflustiges Auftreten gegenüber den Fans des FC Bayern an vorderster Front profilieren. Gefährdungen unbeteiligter Personen, die Störungen des öffentlichen Friedens und des Sicherheitsgefühls der Allgemeinheit nahm der Angeklagte dabei wenigstens billigend in Kauf.

Als sich die Fans des FC Bayern vor dem Wienerwald versammelten und - weitgehend abgeschirmt von Polizeibeamten - über die Candidstraße hinweg zu den Sechziger-Fans lautstark-kämpferisch, mit erhobenen Armen im Chor die Parole "Tod und Hass dem TSV" skandierten, bildete die Polizei eine Kette über die nördliche Fahrbahn der Candidstraße und drängte auf diese Weise die sich nach vorne bewegenden Fans des TSV 1860 München über die Candidstraße in Richtung Grünwalder Stadion ab.

Ein kleiner Teil der Anhänger des TSV 1860 München begab sich daraufhin direkt zum Stadioneingang, ein anderer Teil, bestehend aus ca. 40 Personen, bewegte sich unter dem Ruf "Giesing" gegen die Fans des FC Bayern skandierend auf der südlichen Fahrbahn der Candidstraße (Straßenseite, die dem Stadion zugewandt ist) weiter in Richtung der ca. 15 - 20 m entfernt liegenden Einmündung der Candidstraße in die Tegernseer Landstraße, um sich dem Block der Bayern-Fans annähern zu können.

Ab 12:01:08 Uhr lösten sich aus der Gruppe der ca. 40 TSV-Anhänger, die am Stadioneingang vorbei in den Kreuzungsbereich der Tegernseer Landstraße vorgedrungen waren, plötzlich ca. 10 - 15 Personen, vor...

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