Entscheidungsstichwort (Thema)
Unterbrechung des Zurechnungszusammenhangs bei eingreifendem Fehlverhalten Dritter
Leitsatz (amtlich)
1. Ein in den Kausalverlauf eingreifendes Fehlverhalten Dritter unterbricht den Zurechnungszusammenhang nur, wenn es so völlig ungewöhnlich oder in außerordentlichem Umfang pflichtwidrig ist, dass bei wertender Betrachtung nur noch ein äußerlicher, gleichsam zufälliger Zusammenhang besteht.
2. Das Kürzungs- und Verteilungsverfahren nach §§ 155, 156 Abs. 3 VVG ist dem Betragsverfahren und nicht der Entscheidung über den Anspruchsgrund zuzurechnen.
3. Es ist, soweit Ansprüche auf Leistung und Feststellung aus dem gleichen tatsächlichen Vorgang abgeleitet werden und einen einheitlichen Klagegrund bilden, unzulässig, durch Teilurteil lediglich über den Leistungsantrag zu entscheiden.
Verfahrensgang
LG München II (Urteil vom 30.07.2002; Aktenzeichen 3 O 7051/98) |
Tenor
I. Die Berufung des Beklagten zu 1) gegen das Urteil des LG München II vom 30.7.2002 wird zurückgewiesen.
II. Es wird festgestellt, dass der Beklagte zu 1), beschränkt auf die vertraglich vereinbarte Haftpflichtdeckungssumme von 1,5 Mio. DM und nach Maßgabe des Kürzungs- und Verteilungsverfahrens gem. §§ 155, 156 Abs. 3 VVG, verpflichtet ist, dem Kläger dessen gesamten künftigen immateriellen und materiellen Schaden aus dem Unfall vom 9.12.1995 zu ersetzen, soweit der Anspruch nicht auf Dritte, insb. Sozialversicherungsträger übergeht.
III. Der Rechtsstreit zwischen dem Kläger und dem Beklagten zu 1) wird zur weiteren Verhandlung und Entscheidung über die Höhe des Anspruchs an das LG München II zurückverwiesen.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der am 6.8.1964 geborene Kläger erlitt am 9.12.1995 gegen 2.15 Uhr in F. auf der Spange BAB A 94 zur B 12 bei Kilometer 28 schuldlos einen Verkehrsunfall, bei dem er schwer verletzt wurde. Das Fahrzeug des Unfallverursachers ... war auf die Gegenfahrbahn geraten und dort mit dem Pkw des Klägers zusammengestoßen.
Der Kläger nimmt den Beklagten zu 1) als Haftpflichtversicherer des Unfallverursachers in Anspruch. Der Beklagte zu 2) hat den Kläger als Notarzt versorgt. Der Beklagte zu 3) ist Träger des Kreiskrankenhauses ..., in dem der Beklagte zu 2) beschäftigt ist. Der Beklagte zu 4) war Rettungssanitäter und Fahrer des Rettungswagens. Der Beklagte zu 5) assistierte dem Beklagten zu 2) im Rettungswagen als Leitungsassistent. Die Beklagten zu 4) und 5) waren im Auftrag des Beklagten zu 6) tätig.
Gegen 2.44 Uhr trafen die Beklagten zu 4) und 5) mit dem Rettungswagen aus ... am Unfallort ein. Wegen sinkenden Sauerstoffspiegels im Blut des Kläger wurde eine Intubation vorbereitet. Währenddessen traf der Beklagte zu 2) mit dem Notarzteinsatzfahrzeug aus ... um 2.52 Uhr am Unfallort ein. Der Beklagte zu 2) hörte den Kläger ab und führte die Intubation durch.
Anschließend wurde der Kläger mit dem Rettungswagen in das Krankenhaus ... verbracht. Während der Fahrt verschlechterte sich der zunächst gebesserte Zustand des Klägers erheblich. Insbesondere waren die Sauerstoffsättigungswerte zu niedrig.
Nach einer etwa 30-minütigen Fahrzeit wurde der Kläger im Krankenhaus ... in den Schockraum gebracht. Der Tubus wurde dort in der Speiseröhre und nicht in der Luftröhre vorgefunden. Der Kläger konnte zwar reanimiert werden, erlitt jedoch in Folge von Sauerstoffunterversorgung einen irreversiblen Hirnschaden und liegt seither im Wachkoma.
Der Kläger hat im erstinstanzlichen Verfahren behauptet, dass es bei entweder ordnungsgemäßer primärer Platzierung des Tubus oder rechtzeitiger und zuverlässiger Überprüfung der Tubuslage durch den Beklagten zu 2) nicht zu dem Gehirnschaden gekommen wäre. Der Kläger sei an der Unfallstelle voll ansprechbar gewesen. Anzeichen für ein Schädelhirntrauma hätten nicht vorgelegen. Unfallbedingt sei es nicht zu einem Atemstillstand gekommen. Die Fehlintubation sei auch nicht durch die Reanimationsmaßnahmen im Krankenhaus ... verursacht worden.
Der Beklagte zu 3) könne sich nicht gem. § 831 BGB entlasten, da der Beklagte zu 2) als Berufsanfänger nicht über das erforderliche Wissen und die zu fordernde Erfahrung für den streitgegenständlichen Notarzteinsatz verfügt habe.
Die Beklagten zu 4) und 5) könnten sich nicht mit dem Hinweis auf die Verantwortung des Notarztes entlasten. Dieser habe ersichtlich hilflos agiert.
Der Beklagte zu 6) müsse für die Fehler der Beklagten zu 4) und 5) einstehen.
Der Beklagte zu 1) müsse als Haftpflichtversicherer des Unfallgegners auch für Behandlungsfehler des Notarztes einstehen. Es liege nach der allgemeinen Lebenserfahrung nahe, dass es bei einem Notarzteinsatz zu Behandlungsfehlern wie einer Fehlintubation kommen könne.
Der Kläger hat im ersten Rechtszug beantragt:
I. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 310.808 DM nebst 4 % Zinsen hieraus seit Klagezustellung zu zahlen.
II. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger ab 1.1.1999 eine monatlich vorauszahlbare Rente i.H.v. 9.210 DM je...