Entscheidungsstichwort (Thema)

Schadensersatz wegen falscher Unternehmensmitteilungen einer börsennotierten AG

 

Leitsatz (amtlich)

1. Zur Kausalität falscher Unternehmensmitteilungen einer börsennotierten Aktiengesellschaft für Aktienkäufe über die Börse.

2. Bei durchgängiger Verbreitung ganz überwiegend erfundener Umsatz- und Gewinnzahlen im Börsenprospekt und in Ad-hoc-Meldungen bedarf deren Ursächlichkeit für die Anlegerentscheidung grundsätzlich keines weiteren Beweises.

3. Einer Haftung der Aktiengesellschaft gem. § 826 BGB steht das Verbot der Einlagenrückgewähr (§ 5 7 Abs. 1 S. 1 AktG) nicht entgegen.

 

Normenkette

BGB § 826; AktG § 57 Abs. 1 S. 1

 

Verfahrensgang

LG München I (Urteil vom 14.05.2004; Aktenzeichen 20 O 8814/02)

 

Nachgehend

BGH (Beschluss vom 26.06.2006; Aktenzeichen II ZR 153/05)

 

Tenor

I. Auf die Berufung des Klägers wird das Endurteil des LG München I vom 14.5.2004 aufgehoben.

II. Die Beklagten werden im Hauptsachebetrag und soweit der Zinslauf übereinstimmt als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 288.013,54 EUR nebst Zinsen i.H.v. 110 % Prozentpunkten über dem Basiszinssatz

aus 266.000 EUR

die Beklagten zu 1) und 2) seit 24.7.2002 und die Beklagte zu 3) seit 8.8.2002

aus 5.788,63 EUR

die Beklagten zu 1) und 3) seit 22.11.2002 und die Beklagte zu 2) seit 21.11.2002

aus 197,20 EUR

die Beklagte zu 1) seit 20.2.2003

die Beklagte zu 2) seit 15.2.2003 und die Beklagte zu 3) seit 18.2.2003 und

aus 16.037,71 EUR seit 15.8.2003 zu bezahlen.

III. Die Beklagten tragen als Gesamtschuldner die Kosten des Rechtsstreits.

IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagten können die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des aus diesem Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 110 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.

V. Gegen die Entscheidung zu Lasten der Beklagten zu 3) wird die Revision zugelassen, im Übrigen nicht.

 

Gründe

I. Der Kläger verlangt Schadensersatz im Zusammenhang mit dem Erwerb von Aktien der Beklagten zu 3) über die Börse.

Die Beklagte zu 3) ist eine Aktiengesellschaft, die sich mit der Entwicklung, Produktion und Vermarktung von Soft- und Hardwareprodukten für Telematik und Telekommunikationsdienste sowie der Erbringung damit zusammenhängender Dienst- und Serviceleistungen beschäftigt. Ihre Aktien wurden nach Zulassung zum geregelten Markt erstmals am 26.11.1999 im Neuen Markt gehandelt. Zu dieser Zeit war der Beklagte zu 1), der von Anfang an Hauptaktionär war und bereits zuvor ihre Geschicke bestimmt hatte, ihr Vorstandsvorsitzender. Die Beklagte zu 2), seine Ehefrau, die vor ihm diese Funktion inne gehabt hatte, war zum Zeitpunkt der Börsenzulassung Mitglied des Aufsichtsrats. Ferner war sie u.a. für die Buchhaltung tätig.

Im Zusammenhang mit dem Börsengang fingierte der Beklagte zu 1) mit Unterstützung der Beklagten zu 2) ab 1998 Umsätze der Beklagten. Bereits im Börsenprospekt (Anlage K10) behauptete der Beklagte zu 1), die Beklagte zu 3) stehe in umfangreichen und lukrativen Geschäftsbeziehungen zu einem Unternehmen VT Electronics Ltd. in Hongkong. Ein solches Unternehmen existierte nicht. Die auf die angeblichen ~Umsätze mit diesem Unternehmen bezogenen Rechnungen wurden fingiert. Geschäfte lagen diesen Rechnungen nicht zu Grunde. Einige solcher Rechnungen, nach Angaben der Beklagten zu 2) vier oder fünf, erstellte die Beklagte zu 2). Weitere Rechnungen erhielt sie vom Beklagten zu 1) und gab sie an die Buchhaltung, wobei sie wusste, dass diese Rechnungen nicht aus Ostasien stammten.

Bereits die Umsatzangaben in dem für den Börsengang veröffentlichten Prospekt waren dementsprechend ganz überwiegend erfunden. In der Folgezeit veranlasste der Beklagte zu 1) in kurzen Abständen zwischen einem und drei Monaten Ad-hoc-Mitteilungen (Anlage K26), in denen Umsatz- und Gewinnsteigerungen im Verhältnis zum entsprechenden Vorjahreszeitraum von 400 % und mehr behauptet wurden. Nach der Mitteilung vom 6.4.2001 soll die Steigerung im ersten Quartal 2001 ggü. dem entsprechenden Vorjahreszeitraum immer noch mehr als 200 % gewesen sein. In Wirklichkeit wurden keine Gewinne erzielt und die Umsatzangaben waren schließlich um weit über 90 % überhöht.

Im Februar 2002 wurde die Vorgehensweise von der für das Geschäftsjahr 2001 beauftragten Wirtschaftsprüfungsgesellschaft entdeckt, die daraufhin das Prüfmandat niederlegte. Eine Sonderprüfung durch eine weitere Wirtschaftsprüfungsgesellschaft im März 2002 führte zur Aufdeckung der Manipulationen. Die Beklagten zu 1) und 2) wurden rechtskräftig wegen Kursbetruges, verbotenem Insiderhandel in Tateinheit mit Betrug strafrechtlich verurteilt.

Der Kläger kaufte am 25.4.2001 Aktien zum Preis von 284.836,88 EUR bei einem Kurs von 14,23 EUR, nachdem der Kurs schon einmal einen Stand von über 60 EUR gehabt hatte. Am 5.4.2002 verkaufte er seinen Aktienbestand für 18.532,05 EUR (Kurs 0,93 EUR). In der Folgezeit fiel der Kurs weiter. Die Börsenzulassung wurde der Beklagten zu 3) mit der Begrün...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge