Verfahrensgang
LG Ingolstadt (Urteil vom 22.04.2010; Aktenzeichen 32 O 151/10) |
Tenor
1. Auf die Berufung der Klägerin vom 12.05.2010 wird das Endurteil des LG Ingolstadt vom 22.04.2010 (Az. 32 O 151/10) in Nr. 2 abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin ein weiteres Schmerzensgeld von 4.000,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus 5.000,00 EUR für den Zeitraum vom 03.02.2010 bis einschließlich 18.03.2010 und aus 4.000,00 EUR für den Zeitraum seit 19.03.2010 sowie weitere 459,42 EUR zu bezahlen.
2. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
A.
Von der Darstellung des Tatbestandes wird abgesehen (§§ 540 II, 313 a I 1 ZPO i. Verb. m. § 26 Nr. 8 EGZPO).
Entscheidungsgründe
B.
Die statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte und begründete, somit zulässige Berufung hat in der Sache Erfolg. Die Klägerin hat in Abweichung zur Auffassung des Landgerichts Anspruch auf ein angemessenes Schmerzensgeld in Höhe von insgesamt 10.000,00 EUR nebst Zinsen. Im Hinblick auf das vorprozessual Bezahlte und das in erster Instanz Zugesprochene sind der Klägerin daher die in der Berufungsinstanz zusätzlich begehrten 2.000,00 EUR zuzubilligen.
I. Dabei hat das Landgericht in seiner überwiegend gut begründeten Entscheidung vom 22.04.2010 die maßgeblichen Kriterien zur Bemessung des Schmerzensgelds herausgearbeitet. Auf Grund eigenständiger Überprüfung (vgl. BGH NJW 2006, 1589) ist der Senat jedoch im Hinblick auf die Dauerfolgen und die Belastungen durch die Unfallfolgen bei der noch sehr jungen Klägerin der Auffassung, dass das in erster Instanz zugesprochene Schmerzensgeld etwas zu niedrig bemessen ist, da das Erstgericht nicht ausreichend berücksichtigt hat, dass die beim Unfall 18jährige Klägerin durch eine bei der Bemessung in erster Instanz nicht beachteten zweiten Narbe dauerhafte Beschwerden hat (etwa beim Drauflegen während des Einschlafens). Weiter ist maßgeblich, dass die Klägerin zwar durch ihre Frisur es schafft, die im Gesicht befindliche Narbe weitgehend zu verdecken. Dennoch ist davon auszugehen, dass diese Verdeckung nicht in allen Situationen durchzuhalten sein wird (etwa beim Wassersport) und die Angst vor einer Aufdeckung psychische Probleme bereitet. Dies ergibt sich aus den überzeugenden, bescheiden und zurückhaltend vorgetragenen Angaben der Klägerin anlässlich ihrer Anhörung vor dem Senat. Beachtet man zuletzt die dauerhafte Belastung der Klägerin durch die im Kopf befindliche Metallplatte, die immer wieder Kopfschmerzen auslöst, hält der Senat ein Schmerzensgeld von 10.000,00 EUR für angemessen.
Der Beklagten ist zu entgegnen, dass die Höhe des zuzubilligenden Schmerzensgeldes entscheidend vom Maß der durch das haftungsbegründende Ereignis verursachten körperlichen und seelischen Beeinträchtigungen des Geschädigten abhängt, soweit diese bei Schluss der mündlichen Verhandlung bereits eingetreten sind oder zu diesem Zeitpunkt mit ihnen als künftiger Verletzungsfolge ernstlich gerechnet werden muss (BGH VersR 1976, 440; 1980, 975; 1988, 299; OLG Hamm zfs 2005, 122 [123]; Senat, Urt. v. 24.11.2006 – 10 U 2555/06 [Juris]). Die Schwere dieser Belastungen wird eben vor allem durch die Stärke, Heftigkeit und Dauer der erlittenen Schmerzen und Funktionsbeeinträchtigungen bestimmt (BGHZ – GSZ – 18, 149 ff. = VersR 1955, 615 ff.; ferner BGH NJW 2006, 1068 [1069]). Besonderes Gewicht kommt – wie hier – etwaigen Dauerfolgen der Verletzungen zu (Senat, a.a.O.).
Soweit die Beklagte das Ersturteil nur mit Hinweisen auf vergleichbare Fälle verteidigt, ist dies hier nicht zielführend. Die §§ 253 II BGB, 11 S. 2 StVG sprechen von „billiger Entschädigung in Geld”. Da es eine absolut angemessene Entschädigung für nichtvermögensrechtliche Nachteile nicht gibt, weil diese nicht in Geld messbar sind (BGH GSZ 18, 149 [156, 164]), unterliegt der Tatrichter bei der ihm obliegenden Ermessensentscheidung von Gesetzes wegen keinen betragsmäßigen Beschränkungen (BGH VersR 1976, 967 [968 unter II 1]). Die in den Schmerzensgeldtabellen erfassten „Vergleichsfälle” bilden nur „in der Regel den Ausgangspunkt für die tatrichterlichen Erwägungen zur Schmerzensgeldbemessung” (BGH VersR 1970, 134; 1970, 281), sind nur im Rahmen des zu beachtenden Gleichheitsgrundsatzes als Orientierungsrahmen zu berücksichtigen (BGH VersR 1961, 460 [461]; 1964, 842 (843); 1967, 256 [257]; Senat, Urt. v. 29.06.2007 – 10 U 4379/01 [Juris]), sind aber keine verbindliche Präjudizien (BGH VersR 1970, 134). Deshalb können aus der Existenz bestimmter ausgeurteilter Schmerzensgeldbeträge auch keine unmittelbaren Folgerungen abgeleitet werden (OLG Hamm, zfs 2005, 122 [124]). Verweise auf solche Vergleichsfälle ohne umfassende Herausarbeitung der Fallähnlichkeit, die neben den Verletzungen weitere Variable, nämlich Geschlecht, Alter, Beruf, Vorschädigung, Empfindlichkeit, Einkommen und Vermögens...