Leitsatz (amtlich)

Die Beiordnung eines Verteidigers ist auch bei einer drohenden Verurteilung zu weniger als einem Jahr Freiheitsstrafe geboten, wenn die Summe der im neuen Strafverfahren zu erwartenden Freiheitsstrafe und der wegen der neuen Verurteilung wahrscheinlich zu widerrufenen (Rest-)Strafen über einem Jahr liegt.

 

Verfahrensgang

AG Bernburg (Entscheidung vom 30.08.2016; Aktenzeichen 5 Ds 92/16)

 

Tenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Bernburg vom 30. August 2016 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Abteilung - Strafrichter - des Amtsgerichts zurückverwiesen.

 

Gründe

I.

Das Amtsgericht hat den unverteidigten Angeklagten wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis, begangen am 6. Juli 2015, zur Freiheitsstrafe von 7 Monaten verurteilt.

Der Auszug aus dem Bundeszentralregister weist 19 Eintragungen auf. Am 17. Februar 2015, rechtskräftig seit dem 25. Februar 2015, wurde der Angeklagte durch das Amtsgericht Bernburg wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in Tatmehrheit mit versuchter falscher Verdächtigung zur Freiheitsstrafe von 6 Monaten verurteilt, deren Vollstreckung für die Dauer von 2 Jahren zur Bewährung ausgesetzt wurde. Durch sofort rechtskräftiges Urteil verhängte das Amtsgericht Hof am 10. November 2015 wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln, begangen am 15. Juni 2015, eine Freiheitsstrafe von 6 Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde.

Der Angeklagte wendet sich gegen das Urteil des Amtsgerichts mit der Sprungrevision und rügt unter anderem die Verletzung von § 140 Abs. 2 StPO in Verbindung mit § 338 Nr. 5 StPO.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, das Urteil aufzuheben.

II.

Die Revision hat mit der Verfahrensrüge Erfolg.

Das Fehlen der Mitwirkung eines Verteidigers in der Hauptverhandlung begründet den absoluten Revisionsgrund aus § 338 Nr. 5 StPO, da ein Fall der gemäß § 140 Abs. 2 StPO notwendigen Verteidigung gegeben ist. Die Mitwirkung eines Verteidigers war aufgrund der Schwere der Tat geboten.

Eine Tat ist schwer im Sinne der angeführten Vorschrift, wenn die zu erwartende Rechtsfolge einschneidend ist, etwa wenn die Verhängung einer längeren Freiheitsstrafe droht. Dies wird in der Regel angenommen, wenn die zu erwartende Freiheitsstrafe bei einem Jahr oder darüber liegt und nicht zur Bewährung ausgesetzt wird (vgl. Senat, StV 2014, 11; OLG Nürnberg, Beschluss vom 16. Januar 2014, 2 OLG 8 Ss 259/13, juris; Löwe-Rosenberg, StPO, § 140 Rn. 57 m.w.N. in Fn. 145). Dabei sind zu erwartende Rechtsfolgen in Parallelverfahren, hinsichtlich derer eine Gesamtstrafenbildung in Betracht kommt, einzubeziehen (Senat a.a.O). Daneben sind sonstige schwerwiegende Nachteile, die der Angeklagte infolge der Verurteilung zu erwarten hat, zu berücksichtigen. Hierzu gehört insbesondere ein drohender Bewährungswiderruf (vgl. BayObLG NJW 1995, 2738; OLG Celle, Beschluss vom 30. Mai 2012, 32 Ss 52/12, juris). Daher ist in der Regel auch bei einer Verurteilung zu weniger als einem Jahr Freiheitsstrafe die Beiordnung eines Verteidigers geboten, wenn die Summe der im neuen Strafverfahren zu erwartenden Freiheitsstrafe und der wegen der neuen Verurteilung wahrscheinlich zu widerrufenen (Rest-)Strafen über einem Jahr liegt (vgl. OLG Brandenburg, Beschluss vom 7. November 2007, 1 Ss 90/07, Juris; OLG Dresden NStZ-RR 2005, 318).

Im vorliegenden Fall wird eine Gesamtstrafe mit der Strafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Hof vom 10. November 2015 zu bilden sein, weshalb bei einer erneuten Verhängung einer Freiheitsstrafe von sieben Monaten eine Gesamtfreiheitsstrafe von etwa 10 Monaten droht. Wird dann noch die Strafe von sechs Monaten aus dem Urteil des Amtsgerichts Bernburg vom 17. Februar 2015 widerrufen, was nicht fernliegt, hat der Angeklagte deutlich mehr als ein Jahr Freiheitsentzug zu verbüßen. Deswegen hätte nicht ohne Verteidiger verhandelt werden dürfen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 11247556

StV 2018, 143

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