Verfahrensgang
LG Dessau (Entscheidung vom 01.12.2000; Aktenzeichen 2 Ns 56/00) |
Tenor
Die sofortige Beschwerde des Angeklagten gegen den Beschluss der 2. Strafkammer- Jugendkammer - des Landgerichts Dessau vom 01. Dezember 2000 wird als unbegründet verworfen.
Es wird davon abgesehen, dem Angeklagten die Kosten des Beschwerdeverfahrens aufzuerlegen.
Gründe
Das Amtsgericht - Jugendschöffengericht - Wittenberg hatte den Angeklagten bereits in anderer Sache am 09. Dezember 1998 wegen gemeinschaftlichen Raubes zu einer Jugendstrafe von einem Jahr und zwei Monaten verurteilt, deren Vollstreckung für die Dauer von zwei Jahren zur Bewährung ausgesetzt wurde.
Wegen des Vorwurfs eines am 02. Februar 2000 begangenen Diebstahls eines Mopeds erhob die Staatsanwaltschaft gegen den in dieser Sache bereits im Ermittlungsverfahren geständigen Angeklagten erneut Anklage zum Amtsgericht - Jugendschöffengericht - Wittenberg. Das Jugendschöffengericht verurteilte den auch in der Hauptverhandlung geständigen Angeklagten am 16. August 2000 wegen Diebstahls unter Einbeziehung der Verurteilung vom 09. Dezember 1998 zu einer Einheitsjugendstrafe von einem Jahr und sechs Monaten. Nach Verkündung dieses Urteils und erteilter Rechtsmittelbelehrung erklärten sowohl der Angeklagte als auch der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft jeweils Rechtsmittelverzicht, der im Hauptverhandlungsprotokoll als "vorgelesen und genehmigt" beurkundet wurde.
Mit am 22. August 2000 bei dem Amtsgericht eingegangenem Schreiben legte der Angeklagte gegen das Urteil Berufung ("Widerrufung") ein mit der Begründung, dass ihm "das Urteil zu hoch" erscheine und er keinen Rechtsanwalt gehabt habe. Mit ebenfalls am 22. August 2000 eingegangenem SchriftSatz 1egte der am 17. August 2000 gewählte Verteidiger des Angeklagten gegen das amtsgerichtliche Urteil vom 16. August 2000 Rechtsmittel ein. Mit weiterem Schriftsatz vom 27. September 2000 beantragte der Verteidiger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand "bezüglich der Rechtsmittelfrist gegen das Urteil des Amtsgerichts Wittenberg vom 16.08.2000" und machte zugleich geltend, dass der im Anschluss an die Urteilsverkündung erklärte Rechtsmittelverzicht des Angeklagten unwirksam sei.
Die 2. Strafkammer - Jugendkammer - des Landgerichts Dessau hat mit Beschluss vom 01. Dezember 2000 die Berufung des Angeklagten und sein Wiedereinsetzungsgesuch als unzulässig verworfen.
Die gegen die Verwerfung der Berufung gerichtete sofortige Beschwerde des Angeklagten ist zulässig (§§ 322 Abs. 2, 311 StPO i.V.m. § 2 JGG), hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.
Zutreffend hat das Landgericht im angefochtenen Beschluss darauf hingewiesen, dass der wirksame Rechtsmittelverzicht des Angeklagten der Zulässigkeit der Berufung entgegensteht. Nach einhelliger Auffassung ist der - wie hier - eindeutig ausgesprochene Verzicht eines verhandlungsfähigen Angeklagten auf ein Rechtsmittel aus Gründen der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit grundsätzlich unwiderruflich und unanfechtbar (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 44. Aufl., § 302 Rdn. 21 m. w. Nachw.). Ein solcher Rechtsmittelverzicht ist lediglich in besonderen Ausnahmefällen von Anfang an unwirksam und damit nicht bindend (für Fälle der Anwesenheit eines Verteidigers: BGHSt 18, 257 ff.; BGHSt 19, 101 ff.). In Anlehnung an diese Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes vertreten viele Oberlandesgerichte die Auffassung, ein unmittelbar im Anschluss an die Urteilsverkündung erklärter Rechtsmittelverzicht eines Angeklagten, der in der Hauptverhandlung ohne Verteidiger war, obwohl ein Fall der notwendigen Verteidigung nach § 140 Abs. 2 StPO vorlag, sei unwirksam ( Entscheidungen als Beschwerdegeri cht : OLG Hamburg NJW 1964, 1039, 1040; OLG Schleswig NJW 1965, 312, 313; OLG Hamm MDR 1977, 599; 600; OLG Düsseldorf NStZ 1982, 521; StV 1993, 237, 238; HansOLG Bremen StV 1984, 17; OLG Frankfurt StV 1991, 296, 297; NStZ 1993, 507; KG StV 1998, 646; Revisionsentscheidungen : OLG Stuttgart MDR 1985, 344; BayObLG NStE Nr. 20 zu § 302 StPO; OLG Düsseldorf NStZ 1995, 147, 148; StV 1998, 647; OLG Köln StV 1998, 645; NStZ-RR 1997, 336, 337). Dem vermag der Senat - ebenso wie das HansOLG Hamburg (StV 1998, 641 f.) - in dieser Allgemeinheit nicht zu folgen. Vielmehr ist auch der unmittelbar nach der Urteilsverkündung erklärte Rechtsmittelverzicht eines Angeklagten nicht allein deshalb unwirksam, weil die Hauptverhandlung unter Verstoß gegen § 140 StPO ohne Beteiligung eines Verteidigers stattgefunden hat.
Ein solcher Verstoß lag hier zwar vor. Der Angeklagte hatte nach der Verurteilung durch das Amtsgericht Wittenberg vom 09. Dezember 1998 aufgrund des Vorwurfs der neuen, innerhalb der Bewährungszeit liegenden, einschlägigen Straftat nunmehr mit einer höheren Einheitsjugendstrafe als ein Jahr und zwei Monate ohne Aussetzung deren Vollstreckung zur Bewährung zu rechnen. Bei einer solchen Jugendstrafe von mehr als einem Jahr ohne erneute Strafaussetzung ist in der Regel die Beiordnung eines Verteidigers gemäß § 140 A...