Leitsatz (amtlich)
1.
Bei vollzogener Untersuchungshaft hat eine Abwägung zwischen dem Recht des Angeklagten, in der Hauptverhandlung von dem Verteidiger seines Vertrauens vertreten zu werden, sowie seinem Recht, dass der Vollzug der Untersuchungshaft nicht länger als unbedingt nötig andauert, bei der Bestellung eines Pflichtverteidigers vorrangig stattzufinden. Dies kann dazu führen, dass die Bestellung eines auswärtigen Wahlverteidigers unterbleiben muss, wenn dieser beruflich und terminlich stark eingespannt ist und dies dazu führen könnte, dass nur unter erschwerten Bedingungen mit zeitlichen Verzögerungen Termine zur Durchführung der Hauptverhandlung stattfinden könnten (vgl. OLG Hamm NJW 2006, 2788 [2789]). Als vom Staat zu zahlender Pflichtverteidiger kann aber nur ein Verteidiger beigeordnet werden, der gewährleisten kann, dem Verfahren mit seiner Arbeitskraft weitestgehend zur Verfügung zu stehen (OLG Hamm, NJW 2006, 2788 [2791]).
2.
Für die Beurteilung dieser Fragen steht dem Vorsitzenden des Tatgerichts ein Beurteilungs- und Gestaltungsspielraum zu, der nur eingeschränkt durch das Beschwerdegericht überprüfbar ist (OLG Hamburg, NJW 2006, 2792 [2793]).
Verfahrensgang
LG Dessau (Entscheidung vom 28.10.2008; Aktenzeichen 2 AR 9/08) |
Tenor
Die Beschwerde des Beschuldigten gegen die Entscheidung des Vorsitzenden der 2. Strafkammer - Jugendkammer - des Landgerichts Dessau-Roßlau vom 28. Oktober 2008 (2 AR 9/08) wird als unbegründet verworfen.
Gründe
Der Beschuldigte befindet sich derzeit aufgrund des Haftbefehls des Amtsgerichts Dessau-Roßlau vom 25. August 2008 (12 Gs 70/08), der auf den dringenden Tatverdacht des versuchten gemeinschaftlichen Totschlags und den Haftgrund der Schwere der Tat nach § 112 Abs. 3 StPO gestützt ist, in Untersuchungshaft.
Mit der angefochtenen Entdcheidung hat der Vorsitzende der 2. Strafkammer - Jugendkammer - des Landgerichts Dessau-Roßlau den Antrag des Beschuldigten, ihm seinen Wahlverteidiger, Rechtsanwalt F. aus B. , zum Pflichtverteidiger zu bestellen, zurückgewiesen und ihm stattdessen Rechtsanwalt N. aus W. gemäß §§ 68 Nr. 1, 109 Abs. 1 JGG; 140 Abs. 1 Nr. 1, 2 StPO zum Pflichtverteidiger bestellt. Dagegen richtet sich die im Namen des Beschuldigten mit Schriftsatz von Rechtsanwalt F. erhobene Beschwerde vom 31. Oktober 2008, mit der die Entpflichtung von Rechtsanwalt N. als Pflichtverteidiger und statt seiner die Beiordnung von Rechtsanwalt F. als Pflichtverteidiger begehrt wird.
Die Beschwerde ist zulässig; sie hat in der Sache jedoch keinen Erfolg.
Der Senat hat den Sachverhalt erneut geprüft und kommt zum gleichen Ergebnis wie das Landgericht in seiner angefochtenen Entscheidung. Weil das Beschwerdevorbringen die Gründe dieser Entscheidung nicht entkräftet oder wesentlich abschwächt, nimmt der Senat zunächst auf diese Bezug, um Widerholungen zu vermeiden und führt ergänzend aus:
Die Pflichtverteidigung dient dem Zweck, im öffentlichen Interesse dafür zu sorgen, dass der Beschuldigte in schwerwiegenden Fällen rechtskundigen Beistand erhält und der prozessordnungsgemäße Verfahrensablauf gewährleistet ist, zu dem auch eine wirksame Verteidigung gehört. Die Vorschriften über die notwendige Mitwirkung und die Bestellung eines Verteidigers stellen sich damit als Konkretisierung des Rechtsstaatsprinzips in seiner Ausgestaltung als Gebot fairer Verfahrensführung dar. Der verfassungsrechtlich verbürgte Anspruch des Beschuldigten, nicht nur Objekt des Verfahrens zu sein, sondern auch die Möglichkeit zu haben, zur Wahrung seiner Rechte auf den Gang und das Ergebnis des Verfahrens Einfluss zu nehmen, umfasst auch das der "Waffengleichheit" dienende Recht des Beschuldigten, sich im Strafverfahren von einem Rechtsanwalt als gewähltem Verteidiger seines Vertrauens verteidigen zu lassen (vgl. BVerfG, StV, 2001, 601 [602]). Durch die Beiordnung eines Pflichtverteidigers soll der Beschuldigte nach dem Willen des Gesetzgebers grundsätzlich gleichen Rechtschutz erhalten wie ein Beschuldigter, der auf eigene Kosten die Dienste eines Wahlverteidigers in Anspruch nimmt. Dies gebietet bereits das verfassungsrechtliche Gleichheitsgebot, folgt aber auch aus Artikel 6 Abs. 3 Buchst. c MRK. Diese verfassungsrechtlichen Vorgaben sind bei der Beiordnung eines Pflichtverteidigers - vor den einfachgesetzlichen Regelungen der Strafprozessordnung - zu beachten (BVerfG, StV 2001, 601 [603]).
Über die Bestellung des Pflichtverteidigers entscheidet gemäß § 141 Abs. 4 StPO der Vorsitzende des Gerichts, das für das Hauptverfahren zuständig oder bei dem das Verfahren anhängig ist. Nach § 142 Abs. 1 S. 1 StPO wählt dieser den Verteidiger aus. Daraus ergibt sich, dass die Bestimmung des Pflichtverteidigers grundsätzlich im Ermessen des Vorsitzenden liegt (BGHSt 43, 153 [154]). Dabei hat er die verfassungs- und einfachrechtlichen Regelungen zu beachten, insbesondere also die öffentlichen Interessen gegenüber den Interessen des Beschuldigten abzuwägen. Unter Beachtung dieser Grundsätze hat der Beschuldigte somi...