Leitsatz (amtlich)
1. Der gerichtlich bestellte Verteidiger kann ausgewechselt werden, wenn der Angeklagte und beide Verteidiger damit einverstanden sind, hierdurch keine Verfahrensverzögerung droht und der Landeskasse keine Mehrkosten entstehen.
2. War der bisherige Pflichtverteidiger neben dem im Wege des Verteidigerwechsels zu bestellenden Wahlverteidiger bereits in der Berufungsinstanz tätig, entstehen mit einem Wechsel in der notwendigen Verteidigung regelmäßig Mehrkosten, die auch die Erklärung des Wahlverteidigers, mit seiner Bestellung sollen der Staatskasse keine Mehrkosten entstehen, nicht zu verhindern mag.
Verfahrensgang
LG Magdeburg (Entscheidung vom 15.03.2010; Aktenzeichen 23 Ns 144 Js 9492/08) |
Tenor
Die Beschwerde des Angeklagten und der Erziehungsberechtigten gegen den Beschluss der Vorsitzenden der 3. Strafkammer des Landgerichts Magdeburg vom 15. März 2010 wird als unbegründet verworfen.
Der Angeklagte trägt die Kosten der Beschwerde.
Gründe
I. Das Jugendschöffengericht des Amtsgerichts Magdeburg hat den Angeklagten am 21. August 2009 wegen Vergewaltigung in zwei Fällen unter Einbeziehung des Urteils des Amtsgerichts Magdeburg vom 23. März 2009 zu einer Jugendstrafe von 3 Jahren und 8 Monaten verurteilt. Gegen diese Entscheidung legte der mit Beschluss des Amtsgerichts vom 27. Juni 2008 bestellte Verteidiger Berufung ein.
Die Vorsitzende der Jugendkammer bestimmte am 10. Dezember 2009 die Hauptverhandlungstermine auf den 26. und den 28. April 2010. Gleichzeitig teilte sie dem Angeklagten unter Bezugnahme auf sein an den Pflichtverteidiger gerichtetes Schreiben vom 10. November 2009 mit, dass kein Anlass zu einem Wechsel in der notwendigen Verteidigung gesehen werde.
Am 19. Januar 2010 zeigte Rechtsanwalt F. aus B. die Vertretung des Angeklagten an und beantragte, ihn zum Verteidiger zu bestellen. In diesem Falle lege er sein Wahlmandat nieder. Der bisherige Pflichtverteidiger sei mit dem Wechsel einverstanden und es sollten für die Staatskasse keine Mehrkosten entstehen. Der bis dahin bestellte Verteidiger des Angeklagten erklärte am 08. Februar 2010 sein Einverständnis mit der Zurücknahme seiner Betellung und rechnete u.a. die Verfahrensgebühr für die zweite Instanz ab.
Nachdem der Wahlverteidiger des Angeklagten seine Verhinderung zu den anberaumten Hauptverhandlungsterminen anzeigte, hat die Vorsitzende der Jugendkammer den auf Wechsel in der notwendigen Verteidigung gerichteten Antrag des Angeklagten durch Beschluss vom 15. März 2010 zurückgewiesen, da das Auswechseln des Pflichtverteidigers zu einer auch den Belangen des Angeklagten zuwider laufenden Verfahrensverzögerung führe.
Gegen diese Entscheidung wenden sich der Angeklagte und seine Mutter mit ihrer Beschwerdeschrift vom 18. März 2010. Die Vorsitzende der Jugendkammer hat dem Rechtsmittel nicht abgeholfen.
II. Die gemäß §§ 304 Abs. 1, 296 Abs. 1, 298 StPO i.V.m. § 67 Abs. 3 JGG und §§ 2, 1626 Abs. 1, 1626a Abs. 2 BGB zulässig Beschwerde bleibt in der Sache ohne Erfolg. Die Vorsitzende der Jugendkammer hat zu Recht davon abgesehen, die Bestellung des bisherigen Verteidigers rückgängig zu machen und den Wahlverteidiger nach §§ 140 Abs. 1 Nr. 1, 141 Abs. 4, 142 Abs. 1 StPO i.V.m. § 68 Nr. 1 JGG zum Pflichtverteidiger zu bestellen.
Voraussetzung für die Bestellung eines neuen Verteidigers ist die Entpflichtung des bisherigen Pflichtverteidigers. Über § 143 StPO hinaus ist dies gesetzlich nicht vorgesehen. Dennoch kann die Bestellung eines Verteidigers aus wichtigem Grund rückgängig gemacht werden (Mehle, NJW 2007, 969, 971). So ist die Beiordnung aufzuheben, wenn das Vertrauensverhältnis zwischen dem Angeklagten und seinem Verteidiger endgültig und nachhaltig erschüttert und deshalb zu besorgen ist, dass die Verteidigung objektiv nicht mehr sachgerecht geführt werden kann. Das muss der Angeklagte substantiiert vom Standpunkt eines vernünftigen und verständigen Vertretenen darlegen (Meyer-Goßner, StPO, 52. Aufl., § 143 Rn. 5 m.w.N.). Hierfür genügt es nicht, wenn sich der Angeklagte lediglich auf "kein gutes Vertrauensverhältnis" beruft, weil sein Pflichtverteidiger ihn nach seiner Auffassung nicht gut vertrat und er befürchte, dieser werde für ihn nichts Gutes erreichen. Die Grenze für die Begründetheit von Einwänden gegen den bestellten Pflichtverteidiger ist im Falle der Entpflichtung wesentlich enger gezogen (BVerfG NJW 2001, 3695, 3697). Pauschale, nicht näher belegte Vorwürfe rechtfertigen die Entpflichtung nicht (BGH, Beschluss vom 12. Februar 2008, 1 StR 649/07 - zitiert in juris Rn. 16; Meyer-Goßner, aaO., § 143 Rn. 5b m.w.N.). Der Angeklagte hat keinen bindenden Anspruch auf Bestellung eines von ihm bezeichneten Rechtsbeistands (BVerfG, Beschluss vom 24. Juli 2008, 2 BvR 1146/08 - zitiert in juris Rn. 10).
Darüber hinaus bleibt das Auswechseln eines Pflichtverteidigers unter Fürsorgegesichtspunkten dann entsprechend § 142 Abs. 1 StPO zulässig, wenn der Angeklagte und beide Verteidiger damit einverstanden sind, hierdurch keine Verfah...