Leitsatz (amtlich)
1. Mit dem Vierten Gesetz zur Verbesserung rehabilitierungsrechtlicher Vorschriften für Opfer der politischen Verfolgung in der ehemaligen DDR vom 2.12.2010 wird der freiheitsentziehende Charakter der Heimerziehung in der ehemaligen DDR unterstellt. Für die Rehabilitierung des Untergebrachten kommt es nur noch auf die Feststellung einer politischen Verfolgung oder sonst sachfremder Zwecke an.
2. Ergab sich die Heimerziehung als Konsequenz aus der politisch motivierten Inhaftierung der Eltern, diente sie der politischen Verfolgung.
3. Zur Aufhebung einer mit dem Referat Jugendhilfe der ehemaligen DDR geschlossenen Erziehungsvereinbarung.
Verfahrensgang
LG Halle (Saale) (Beschluss vom 24.02.2011; Aktenzeichen 12 Reh 10101/10) |
Tenor
Auf die Beschwerde der Betroffenen wird der Beschluss der Kammer für Rehabilitierungssachen des LG Halle vom 24.2.2011 aufgehoben.
Die vorläufige Verfügung des Leiters des Referats Jugendhilfe des Rates der Stadt H. vom 18.4.1988 sowie die Erziehungsvereinbarung des Referats Jugendhilfe des Rates der Stadt H. mit der Mutter der Betroffenen, Frau B. G., vom 5.5.1988 mit der Folge der Heimerziehung der Betroffenen werden für rechtsstaatswidrig erklärt und aufgehoben.
Die zu Unrecht erlittene Freiheitsentziehung der Betroffenen dauerte vom 18.4.1988 bis zum 20.4.1989.
Kosten des Verfahrens werden nicht erhoben. Die notwendigen Auslagen der Betroffenen trägt die Staatskasse.
Gründe
I. Am 17.4.1988 wurde die Mutter der Betroffenen von den Grenztruppen der DDR im Grenzgebiet zur Bundesrepublik festgehalten, nachdem sie erfolglos versucht hatte, die DDR unter Überwindung der Grenzsicherungsanlagen zu verlassen. Bei sich hatte Frau B. G. ihre zwei Töchter, zu denen die damals dreijährige Betroffene gehörte. Am 18.4.1988 um 3.30 Uhr wurde die Betroffene durch die Polizei einem Kinderheim übergeben. Hiervon unterrichtete man am gleichen Tag das zuständige Referat Jugendhilfe des Rates der Stadt H., dessen Leiter mit vorläufiger Verfügung gem. § 50 FGB/DDR die Heimerziehung der Betroffenen anordnete.
Die Mutter der Betroffenen geriet in Untersuchungshaft. Nach den aufgefundenen Jugendhilfevorgängen schlossen sie und der Leiter des Referats Jugendhilfe am 5.5.1988 eine Erziehungsvereinbarung über die Heimunterbringung der Betroffenen und ihrer Schwester. Beide Mädchen gelangten in das Kinderheim "E. " in B., von wo sie zum 20.4.1989 zur Mutter entlassen wurden.
Das Kreisgericht Halle-Neustadt verurteilte die Mutter der Betroffenen am 30.6.1988 wegen versuchten ungesetzlichen Grenzübertritts im schweren Fall zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und fünf Monaten. Durch Beschluss des Bezirksgerichts Halle vom 23.6.1992 wurde die Mutter rehabilitiert.
Mit Antragsschrift vom 12.7.2010 begehrt die Betroffene ihre Rehabilitierung wegen des Heimaufenthalts. Das LG Halle hat das Gesuch mit Beschluss vom 24.2.2011 zurückgewiesen und zur Begründung ausgeführt, zwar sei die Mutter der Betroffenen Opfer politischer Verfolgung geworden. Gleichwohl sei die Anordnung der Heimerziehung Ausdruck staatlicher Fürsorge. Zumindest sei die Betroffene im Kinderheim keinen haftähnlichen Bedingungen ausgesetzt gewesen. Die Heimerziehung führe in der Regel nur zu von Kindern hinzunehmenden Freiheitsbeschränkungen und nicht zur Entziehung der Freiheit.
Gegen diese, ihr am 2.3.2011 zugestellte Entscheidung wendet sich die Betroffene mit der am 21.3.2011 beim LG eingegangenen Beschwerde. Die Heimerziehung gehe auf die politische Verfolgung der Mutter zurück. Sie sei daher offenkundig rechtswidrig. Außerdem zweifelt die Betroffene das Bestehen einer Erziehungsvereinbarung an.
Die Mutter der Betroffenen erklärt in diesem Zusammenhang, sich an keine Erziehungsvereinbarung erinnern zu können. Sie habe damals keine Entscheidungsmöglichkeit in Bezug auf ihre Kinder mehr besessen. Die Betreuung der Mädchen hätten Verwandte oder der leibliche, von ihr geschiedene Vater übernehmen können. Sie mutmaßt eine Einflussnahme des Ministeriums für Staatssicherheit.
II. Die gem. §§ 13 Abs. 1, 15 StrRehaG; §§ 306 Abs. 1, 311 Abs. 2 StPO zulässige Beschwerde hat in der Sache Erfolg. Sie führt nach § 15 StrRehaG und § 309 StPO zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Rehabilitierung der Betroffenen (§§ 2 Abs. 1, 1 Abs. 1, 12 StrRehaG). Die auf die Heimerziehung der Betroffenen gerichtete vorläufige Verfügung des Leiters des Referats Jugendhilfe und die mit gleichem Ziel geschlossene Erziehungsvereinbarung sind mit wesentlichen Grundsätzen einer freiheitlichen rechtsstaatlichen Ordnung unvereinbar, weil sie der politischen Verfolgung dienten (§§ 2 Abs. 1 Satz 2, 1 Abs. 1 Nr. 1 Bst. e) StrRehaG).
1. Das LG stützt seine ablehnende Entscheidung auf die konkrete Unterbringungssituation der Betroffenen in einem normalen Kinderheim. Damit sei keine Freiheitsentziehung i.S.v. § 2 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 StrRehaG angeordnet. Dies entspricht der bisher ständigen Rechtsprechung des Senats, welche sich mit der jüngsten Änderung des Strafr...