Entscheidungsstichwort (Thema)

Erschließungsstraße

 

Leitsatz (amtlich)

1. Der Vorwurf einer Bieterin ggü. der Vergabestelle, dass ihr "Angaben/Informationen formell nicht gegeben oder mitgeteilt" worden seien, stellt keine wirksame Rüge dar.

2. Kenntnis von einem Vergabeverstoß i.S.v. § 107 Abs. 3 S. 1 GWB liegt bereits dann vor, wenn dem Bieter die den Verstoß begründenden Tatsachen bekannt sind und diese Tatsachen bei objektiver Wertung aus der Sicht des Bieters so offensichtlich einen Mangel des Vergabeverfahrens darstellen, dass der Bieter sich dieser Überzeugung schlechterdings nicht verschließen kann.

 

Verfahrensgang

Vergabekammer beim Landesverwaltungsamt Sachsen-Anhalt (Beschluss vom 11.10.2004; Aktenzeichen 1 VK LVwA 58/04)

 

Tenor

Auf die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss der 1. Vergabekammer beim Landesverwaltungsamt Sachsen-Anhalt vom 11.10.2004 abgeändert.

Der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin wird insgesamt als unzulässig abgewiesen.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Nachprüfungsverfahrens vor der Vergabekammer und des Beschwerdeverfahrens. Sie hat auch die zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Antragsgegnerin zu erstatten.

Die Beigeladene trägt etwaige eigene Aufwendungen selbst.

Die Kosten des Nachprüfungsverfahrens vor der Vergabekammer betragen 2.821,76 Euro.

Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten durch die Antragsgegnerin war notwendig.

Der Gebührenstreitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 12.600 Euro festgesetzt.

 

Gründe

I. Mit Veröffentlichung im Supplement zum Amtsblatt der Europäischen Union am 8.5.2004 schrieb die Antragsgegnerin im Wege des Verhandlungsverfahrens auf der Grundlage der Verdingungsordnung für freiberufliche Leistungen (VOF) die Vergabe von Planungsleistungen der Phasen 5 bis 9 nach Teil VII § 55 HOAI für den Aus- und Neubau einer ca. 6 km langen Erschließungsstraße am Industriestandort A./E. aus. Am Teilnahmewettbewerb beteiligten sich 79 Bewerber. Aus dieser Gruppe wählte die Vergabestelle sieben Bewerber aus, die sie für geeignet hielt und zu Verhandlungsgesprächen einlud. Darunter war auch die Antragstellerin, die mit Schreiben vom 21.6.2004 im Rahmen des Auftragsverfahrens zu einem Gespräch am 25.6.2004 eingeladen wurde, an dem der Geschäftsführer der Antragstellerin K. teilnahm.

In der Einladung hatte der Auftraggeber darauf hingewiesen, dass die Anhörung zur Ermittlung des Bewerbers diene, der im Hinblick auf die eigens als Anlage ausgewiesene und beigefügte Aufgabenbeschreibung am ehesten die Gewähr für eine sachgerechte und qualitätsvolle Leistungserbringung biete. Außerdem wurden diese Bewerber aufgefordert, in der Verhandlung ihre Vorstellungen zu den Honorarsätzen und zu den Nebenkosten der ausgeschriebenen Leistungsbereiche bekannt zu geben.

Mit Schreiben vom 8.7.2004, eingegangen am 9.7.2004, teilte der Auftraggeber der Antragstellerin mit, dass er beabsichtige, den Zuschlag der Beigeladenen zu erteilen. Die Antragsgegnerin führte dazu aus, dass die Antragstellerin die 1. Stufe des Verhandlungsverfahrens mit der Höchstpunktzahl von 500 durchlaufen habe und deshalb als geeignete Bewerberin zu Verhandlungsgesprächen eingeladen worden sei. Im Ergebnis der Verhandlungen habe sich die Antragsgegnerin aber aufgrund des Gesamteindrucks dafür entschieden, den Auftrag nicht an die Antragstellerin zu vergeben.

Unter dem 3.8.2004 rügte die Antragstellerin ggü. der Antragsgegnerin die im Informationsschreiben dargelegte generelle Vorgehensweise der Antragsgegnerin bei der Auftragsvergabe. Das Rügeschreiben hat folgenden Wortlaut:

"Aus- und Neubau einer ca. 6 km langen Erschließungsstraße f.d. Industriestandorte A. und E. Verhandlungsverfahren - Leistungen für Ingenieurbauwerke, Verkehrsanlagen, Freianlagen sowie Straßenbeleuchtung und örtliche Bauleitung gem. HOAI, Beschwerde/Rüge

Sehr geehrte Damen und Herren,

in Ihrem Schreiben v. 8.7.2004 teilen Sie uns mit, dass wir als geeigneter Bewerber mit der Nutzwertanalyse 500 von 500 möglichen Punkten gewertet wurden. Des Weiteren teilen Sie uns mit, dass wir für die Auftragserteilung nicht vorgesehen sind, sondern die Bietergemeinschaft A. GmbH/P. mbH den Auftrag erhalten soll.

Am 25.6.2004 fand auf Ihre Einladung hin ein Auftragsgespräch als Bestandteil der Verhandlung statt. Ein Protokoll dieses Gespräches liegt uns bis heute nicht vor.

Wir legen hiermit Beschwerde gegen Ihre im o.g. Schreiben zum Ausdruck gebrachte Auffassung zur Auftragsvergabe ein und rügen die Vorgehensweise. Insbesondere rügen wir, dass wir trotz der bestmöglichen Nutzwertanalyse nicht zur Abgabe eines Angebotes aufgefordert wurden, denn unter Nr. IV.1.4 des Bekanntmachungstextes haben Sie keine zahlenmäßige Einschränkung für die Anzahl der zur Angebotsabgabe aufzufordernden Unternehmen angegeben.

Bezug nehmend auf die Vergabebekanntmachung 2004/S 91-074387 und Ihr Schreiben v. 8.7.2004 rügen wir, dass Angaben/Informationen uns formell nicht gegeben oder mitgeteilt wurden. Wir sehen uns daher...

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