Verfahrensgang

AG Stendal (Beschluss vom 14.01.2020; Aktenzeichen 5 F 620/19)

 

Nachgehend

BVerfG (Nichtannahmebeschluss vom 25.06.2021; Aktenzeichen 1 BvR 2027/20)

 

Tenor

Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Amtsgerichts - Familiengerichts - Stendal vom 14.01.2020 (Az.: 5 F 620/19), erlassen am 15.01.2020, wird aus den zutreffenden und umfassenden Gründen der angefochtenen Entscheidung (Bl. 83 ff. der Akte), auf die zur Meidung von Wiederholungen Bezug genommen wird, bei einem Beschwerdewert von 3.000,- EUR (§§ 40, 45 Abs. 1 Nr. 2 FamGKG) auf seine Kosten (§ 84 FamFG) zurückgewiesen.

 

Gründe

Ergänzend ist folgendes anzumerken:

Das Umgangsrecht eines Elternteils steht unter dem Schutz des Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG. Es ermöglicht dem umgangsberechtigten Elternteil, sich von dem körperlichen und geistigen Befinden der Kinder und ihrer Entwicklung durch Augenschein und gegenseitige Absprache fortlaufend zu überzeugen, die verwandtschaftlichen Beziehungen zu ihm aufrechtzuerhalten und einer Entfremdung vorzubeugen, sowie dem Liebesbedürfnis beider Teile Rechnung zu tragen. Das Umgangsrecht erwächst aus dem natürlichen Elternrecht und der damit verbundenen Elternverantwortung und muss von den Eltern im Verhältnis zueinander respektiert werden. Der Elternteil, bei dem sich die Kinder gewöhnlich aufhalten, muss demgemäß grundsätzlich den persönlichen Umgang der Kinder mit dem anderen Elternteil ermöglichen. Können sich die Eltern über die Ausübung des Umgangsrechts nicht einigen, hat das Gericht eine Entscheidung zu treffen, die sowohl die beiderseitigen Grundrechtspositionen der Eltern als auch das Wohl der Kinder und deren Individualität als Grundrechtsträger berücksichtigen. Das Gericht muss sich im Einzelfall um eine Konkordanz der verschiedenen Grundrechte bemühen. An die einfachrechtlich auf § 1684 Abs. 4 BGB zu gründende Einschränkung oder den Ausschluss des Umgangsrechts eines Elternteils sind strenge Maßstäbe anzulegen. Eine Einschränkung oder ein Ausschluss des Umgangsrechts ist nur veranlasst, wenn nach den Umständen des Einzelfalls der Schutz der Kinder dies erfordert, um eine Gefährdung ihrer seelischen oder körperlichen Entwicklung abzuwehren (BVerfG FamRZ 2010, 1622; BVerfG, FamRZ 2009, 399; BGH, FamRZ 1994, 158).

Letzteres setzt eine gegenwärtige Gefahr in solchem Maße voraus, dass sich bei weiterem Fortschreiten eine erhebliche Schädigung der weiteren Entwicklung der Kinder mit ziemlicher Sicherheit voraussehen lässt (BVerfG, FamRZ 2009, 1472).

Nach diesen Grundsätzen ist die vorhandene Umgangsregelung des Oberlandesgerichts Braunschweig (Az. 1 UH 82/13 - Bl. 5 ff. der Akte -) vom 02.04.2014 erst dann zu ändern, wenn dies aus triftigen, das Wohl des Kindes nachhaltig berührenden Gründen angezeigt ist (§ 1696 Abs. 1 BGB).

Selbst wenn aber, wie hier, in einem Ausgangsverfahren bereits das Umgangsrecht tituliert worden ist, ist Entscheidungsmaßstab für eine spätere Umgangseinschränkung bzw. einen späteren Umgangsausschluss unmittelbar § 1684 Abs. 4 BGB.

Das Amtsgericht hat zutreffend und beanstandungsfrei den Umgang des Antragsgegners (Kindesvater) mit seinen Kindern unter Anwendung dieser Vorschrift (§ 1684 Abs. 4 BGB) für die Zeit des Ermittlungs- bzw. Strafverfahrens der Staatsanwaltschaft Stendal zum Az. 326 Js 13584/19 bezüglich A. B., geb. am 20.01.2009, ausgeschlossen und in Bezug auf J. B., geb. am 04.01.2011, eingeschränkt.

Die gesetzliche Regelung des § 1684 Abs. 4 BGB ermöglicht unabhängig von einer Antragstellung, die Antragstellerin (Kindesmutter) hat zudem mit ihrem Hauptantrag erstinstanzlich den vollen Ausschluss des Umgangs beantragt, auch dann gerichtliche Entscheidungen, welche die Umgangsbefugnis einschränken oder ausschließen, wenn einerseits die Kinder dies aus ernsthaften, subjektiv beachtlichen oder verständlichen Gründen wünschen und ein erzwungenes Umgangsrecht das Kindeswohl beeinträchtigen würde. Denn der vom Kind geäußerte Wille hat nicht nur Erkenntniswert hinsichtlich seiner persönlichen Bindungen auch zum Umgangsberechtigten (BVerfG, FamRZ 2016, 1917), sondern ist mit zunehmendem Alter auch als Ausdruck der Entwicklung des Kindes zu einer eigenständigen Persönlichkeit und damit seiner Selbstbestimmung bedeutsam (§ 1626 Abs. 2 S. 2 BGB) (BVerfG a.a.O.). Vorliegend ist der Wille der Kinder aber gerade nicht von dem Wunsch getragen, unbefangenen persönlichen Kontakt zum Kindesvater zu haben. Insbesondere die Äußerungen von A. nach der Rückkehr zur Kindesmutter am 05.09.2019 sind frei von früheren Einflussnahmen des Kindesvaters. Zudem hat J. die fehlende Rückkehr der Schwester leidgetragen vermisst.

Insbesondere der zunächst geäußerte Wille von A. war, wie sich aus der Vielzahl der Anhörungen ergeben hat, hier zuletzt die vom 01.10.2019 (Bl. 39 ff. der Akte) derart nachhaltig, aller höchstens Umgang unter Begleitung von 2 Personen zu haben. Dem schloss sich J. dauerhaft an. Zudem äußerte A. nachfolgend sexuelle Missbrauchsvorwürfe gegen den Kindesvater, die noch Ge...

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