Leitsatz (amtlich)
Mit der Entscheidung vom 12. November 2020, Az.: 2 BvR 1616/18, hat das Bundesverfassungsgericht ausgeführt, dass in Ansehung des Anspruchs auf ein faires Verfahren dem Betroffenen dieselben Informationen zur Verfügung gestellt werden müssen, wie sie der Verwaltungsbehörde oder dem Gericht vorliegen. Auf die Anforderungen an die Aufklärungs- und Feststellungspflicht des Gerichts im Falle der Anwendung von standardisierten Messverfahren hat die Entscheidung keinen Einfluss.
Verfahrensgang
AG Oschersleben (Entscheidung vom 23.11.2020; Aktenzeichen 1 OWi 743 Js 5824/20 (74/20) |
Tenor
Der Antrag des Betroffenen auf Zulassung der Rechtsbeschwerde gegen das Urteil des Amtsgerichts Oschersleben vom 23. November 2020 wird als unbegründet verworfen, weil es nicht geboten ist, die Nachprüfung des Urteils zu der hier allein zulässigen Fortbildung des materiellen Rechts zu ermöglichen oder das Urteil wegen Versagung des rechtlichen Gehörs aufzuheben.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten der Rechtsbeschwerde zu tragen, die als vorsorglich eingelegt und nunmehr als zurückgenommen gilt (§§ 80 Abs. 3 Satz 2 und Abs. 4 Satz 4, 79 Abs. 3 Satz 1, 46 Abs. 1 OWiG, 473 Abs. 1 Satz 1 StPO).
Gründe
Ein Zulassungsgrund im Sinne von § 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG ist nicht ersichtlich. Eine Zulassung der Rechtsbeschwerde nach § 80 Abs. 1 Nr. 1 OWiG scheidet hier jedoch von vornherein aus, was sich aus § 80 Abs. 2 OWiG ergibt. Die verhängte Geldbuße liegt bei 80,00 Euro. Es kann offenbleiben, ob die Ausführungen des Verteidigers im Zulassungsantrag den Anforderungen an die Begründung einer Verfahrensrüge im Sinne von § 344 StPO genügen.
Der Senat sieht von einer Begründung ab, weist jedoch auf Folgendes hin:
Entgegen eines landläufigen Missverständnisses gebietet die neuere Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts es gerade nicht, im Falle einer Geschwindigkeitsmessung im standardisierten Messverfahren - hier mit dem Gerät ESO 3.0 der Fa. eso GmbH - Messdaten über den Messvorgang zu erheben oder gar zu speichern. Das Bundesverfassungsgericht hat im Kammerbeschluss vom 12. November 2020 "nur" herausgearbeitet, dass auch im Bußgeldverfahren der Betroffene Anspruch auf ein faires Verfahren und damit weitreichenden Zugang zu denselben Informationen habe, wie sie der Verwaltungsbehörde oder dem Gericht zur Verfügung stehen (Az. 2 BvR 1616/18, Rn. 50 ff. - zitiert nach juris).
Danach waren die Verwaltungsbehörde und das Gericht vorliegend verpflichtet, dem Betroffenen Zugang zu Informationen in dem Bußgeldverfahren zu vermitteln, die zwar nicht Teil der Bußgeldakte, jedoch als solche entstanden sind. Diese Pflicht wurde offensichtlich gewahrt.
Denn die Verwaltungsbehörde kam der Bitte des Verteidigers noch im Verwaltungsverfahren nach und stellte diesem mit E-Mail vom 08. Januar 2020 Bildmaterial "einschl. Rohmessdaten" zur Verfügung, ohne dass der Verteidiger später je eine unvollständige Übermittlung von Daten beanstandet hatte.
Folgerichtig und zutreffend hat die Tatrichterin außerdem den in der Hauptverhandlung gestellten Beweisantrag des Verteidigers zurückgewiesen, bei dem es sich im Übrigen um einen unzulässigen Ausforschungsantrag handelt, soweit er darauf abzielt, "ob das hier zum Einsatz gekommene Messgerät ausreichend die gemessenen Daten" speichere. Aus der Geschwindigkeitsmessung im standardisierten Messverfahren, von der die Tatrichterin zutreffend ausgegangen ist, haben sich keine konkreten Anhaltspunkte für die Fehlerhaftigkeit des Messvorgangs ergeben, so dass die Aufklärungs- und Feststellungspflicht des Gerichtes nach den Grundsätzen für ein standardisiertes Messverfahren auch herabgesetzt gewesen war. Vor diesem Hintergrund tragen die Feststellungen und Ausführungen in jeder Hinsicht das Urteil.
Aus dem Vortrag des Betroffenen ergaben sich derart konkrete Hinweise aber auch nicht. Denn der Vortrag beschränkt sich im Wesentlichen auf die formelhaft mitgeteilte Forderung, ein Sachverständigengutachten einzuholen, weil die Messung fehlerhaft sei. Der Verteidiger verkennt hierbei jedoch, dass die oberflächliche Behauptung, nur ein Sachverständiger könne prüfen, ob eine Messung fehlerhaft sei, keineswegs den Betroffenen von dem Erfordernis befreit, konkret zu etwaigen Messfehlern bei der Messung im standardisierten Messverfahren vorzutragen. Immerhin hat das Bundesverfassungsgericht mit dem zitierten Beschluss auch ausdrücklich die bisherige Rechtsprechungspraxis der Fachgerichte zum standardisierten Messverfahren gebilligt (aaO., Rn. 47 - zitiert nach juris).
Fundstellen
Haufe-Index 14790029 |
NJ 2021, 465 |