Leitsatz (redaktionell)

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Ist dem Angeklagten ein Pflichtverteidiger beigeordnet worden, ohne dass ihm die Gelegenheit gegeben worden ist, einen Rechtsanwalt seines Vertrauens zu benennen, so ist die Bestellung auf die Beschwerde des Angeklagten aufzuheben und der von ihm benannte Verteidiger beizuordnen, sofern keine wichtigen Gründe entgegen stehen.

 

Gründe

Mit Verfügung vom 10. März 2004 hat der Vorsitzende der 6. Strafkammer des Landgerichts Dessau dem Angeklagten Rechtsanwalt Kr. aus Halle zum Pflichtverteidiger bestellt. Mit Schreiben vom 24. Juli 2004 hat sich Rechtsanwalt Dr. Ku. aus D. für den Angeklagten legitimiert und seine Beiordnung als Pflichtverteidiger beantragt. Mit Verfügung vom 19. August 2004 hat der Vorsitzende die Bestellung von Rechtsanwalt Dr. Ku. zum Pflichtverteidiger mit der Begründung abgelehnt, dass bereits Rechtsanwalt Kr. bestellt sei.

Der Angeklagte begehrt mit seiner Beschwerde die Aufhebung der Bestellung des Rechtsanwalts Kr. zum Pflichtverteidiger und die Beiordnung des Rechtsanwalts Dr. Ku. als neuen Pflichtverteidiger.

Die Beschwerde ist zulässig.

Selbst wenn man sie isoliert - als gegen die Bestellung des Rechtsanwalts Kr. zum Pflichtverteidiger gerichtet - betrachten wollte, wäre sie zulässig. Zwar ist eine Pflichtverteidigerbestellung mangels Beschwer grundsätzlich nicht anfechtbar. Eine Ausnahme ist jedoch in den Fällen zu machen, in denen dem Angeklagten vor der Bestellung des Rechtsanwalts keine Gelegenheit nach § 142 Abs. 1 S. 2 StPO gegeben worden ist, einen Verteidiger vorzuschlagen (KG Berlin, Beschluss vom 29. März 1999, 1 AR 312/99 - 5 Ws 171/99, und Beschluss vom 31. Mai 1999, 1 AR 614/99 - 4 Ws 140/99; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 1. August 1994, 1 Ws 551/94; OLG Schleswig, Beschluss vom 21. November 2000, 2 Ws 481/00; jeweils recherchiert in juris). So verhält es sich hier. Der Vorsitzende hat zwar vorliegend mit Schreiben vom 27. November 2003 bei dem seinerzeitigen Verteidiger, Rechtsanwalt Ke., angefragt, wer zum Pflichtverteidiger bestellt werden solle. Rechtsanwalt Ke. hatte indes bereits mit Schreiben vom 22. September 2003 seine Mandatsniederlegung mitgeteilt. Mit Schreiben vom 3. Dezember 2003 richtete der Vorsitzende seine Anfrage nach dem beizuordnenden Verteidiger unmittelbar an den Angeklagten. Das Schreiben konnte ihm unter der darin angegebenen Adresse jedoch nicht zugestellt werden. Aus der Akte ist nicht ersichtlich, dass der Angeklagte dieses Schreiben überhaupt jemals erhalten hat.

Soweit sich die Beschwerde gegen die Ablehnung der Beiordnung des Rechtsanwalts Dr. Ku. richtet, ist sie ebenfalls zulässig (vgl. Meyer - Goßner, StPO, 47. Aufl., § 141, Rdn. 10), zumal in der Ablehnung dieser Beiordnung zugleich auch die Ablehnung des Widerrufs der Bestellung des Rechtsanwalts Kr. liegt, die ebenfalls unstreitig der Beschwerde unterliegt (vgl. Meyer - Goßner, StPO, 47. Aufl., § 143, Rdn. 7).

Die Beschwerde ist insbesondere nicht nach § 305 S. 1 StPO ausgeschlossen, weil die angefochtenen Verfügungen des Strafkammervorsitzenden vor Beginn der Hauptverhandlung ergangen sind und letztere auch bis zur Entscheidung des Senats noch nicht begonnen hat.

Die Beschwerde ist auch begründet.

Die Beiordnung von Rechtsanwalt Kr. ist erfolgt, ohne dass dem Angeklagten zuvor nach § 142 Abs. 1 S. 2 StPO Gelegenheit gegeben worden ist, innerhalb einer gesetzten Frist einen Rechtsanwalt zu bezeichnen. Gemäß § 142 Abs. 1 S. 3 StPO ist der von einem Angeklagten bezeichnete Verteidiger zu bestellen, wenn nicht wichtige Gründe entgegen stehen. Anderenfalls ist sein grundgesetzlich geschütztes Recht auf ein faires Verfahren verletzt. Die Sollvorschrift des § 142 Abs. 1 S. 2 StPO kommt daher praktisch einer Anhörungspflicht gleich, von der nur in seltenen Ausnahmefällen abgewichen werden kann (vgl. BGH, Beschluss vom 25. Oktober 2000, 5 StR 408/00; KG, Beschluss vom 31. Mai 1999, 1 AR 614/99- 4 Ws 140/99; jeweils recherchiert in juris).

Die vorstehenden Grundsätze sind bei der Beiordnung von Rechtsanwalt Kr. nicht beachtet worden. Der um Bezeichnung eines beizuordnenden Rechtsanwalts gebetene Rechtsanwalt Ke. hatte sein Mandat bereits niedergelegt. Der Angeklagte selbst hat die entsprechende Anfrage des Gerichts ersichtlich nicht erhalten, obwohl sie ihm unter der Anschrift zugestellt worden war, unter der ihn zuvor wie auch später die Gerichtspost erreicht hat. Rechtsanwalt R., der sich im Dezember 2003 für den Angeklagten legitimiert hatte, ist zur Verteidigerbestellung nicht befragt worden. Vielmehr ist dann am 10. März 2004 Rechtsanwalt Kr. bestellt worden. Ein begründeter Anlass, vorliegend ausnahmsweise von der Anfrage beim Angeklagten abzusehen, ist nicht erkennbar. Unter diesen Umständen kann die Bestellung von Rechtsanwalt Kr. keinen Bestand haben.

Dem Angeklagten ist Rechtsanwalt Dr. Ku. als Pflichtverteidiger zu bestellen. Dieser genießt das Vertrauen des Angeklagten, ist zudem in D. ansässig und hat ausgeführt, sich in die Sache einarbeiten zu können, was der Sena...

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