Entscheidungsstichwort (Thema)

Unzumutbarkeit der Kündigung einer Lebensversicherung zur Bestreitung der Verfahrenskosten von dem Rückkaufswert

 

Leitsatz (amtlich)

Im PKH-Verfahren ist es dem Antragsteller nicht zuzumuten, bestehende Lebensversicherungen zu kündigen, um den Rückkaufwert zur Bestreitung der Verfahrenskosten zu verwenden.

Die sofortige Kündigung langfristig abgeschlossener Verträge ist mit ökonomisch unverhältnismäßigen Nachteilen verbunden, die zwecks Finanzierung der Prozesskosten in Kauf zu nehmen einer Partei grundsätzlich nicht angesonnen werden kann.

Es kann nicht Sinn und Zweck der PKH sein, verdienstvolle private Initiativen und Vorkehrungen, die andererorts gerade mit besonderen staatlichen Mitteln gefördert werden, im Nachhinein zu konterkarieren, indem überspannte Anforderungen an die zumutbare Verwertung solcher erworbenen Vermögenswerte gestellt werden.

 

Normenkette

ZPO § 114; SGB XII § 90

 

Verfahrensgang

AG Magdeburg (Beschluss vom 01.02.2006; Aktenzeichen 14 WF 54/06)

 

Tenor

Auf die sofortige Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des AG Magdeburg vom 1.2.2006 - 222 F 68/04 UE, aufgehoben.

 

Gründe

I. Die gem. § 127 Abs. 2 Satz 2 ZPO i.V.m. § 567 Abs. 1 Nr. 1 ZPO statthafte und auch im Übrigen gem. § 569 ZPO i.V.m. § 127 Abs. 2 Satz 3 ZPO zulässige sofortige Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des AG Magdeburg vom 1. Februar dieses Jahres (Bl. 43 PKH-Beiheft) hat in der Sache Erfolg.

Entgegen der Annahme des AG kann in den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen des Antragstellers keine wesentliche Veränderung festgestellt werden, die es gem. § 120 Abs. 4 Satz 1 ZPO rechtfertigen könnte, den Antragsteller nunmehr, entgegen dem ohne Zahlungsverpflichtung ergangenen Beschluss des AG vom 22.6.2004 zur Prozesskostenhilfe (Bl. 10 PKH-Beiheft), darauf zu verweisen, sein angeblich das Schonvermögen gem. § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII um einen - nicht näher erläuterten noch ohne Weiteres nachvollziehbaren - Betrag von 2.195,70 EUR übersteigendes Vermögen für die Prozesskosten i.H.v. 372,22 EUR zu verwenden.

Die Vermögenswerte des Antragstellers i.H.v. insgesamt 5.627,21 EUR (Bl. 18 Rs. PKH-Beiheft) resultieren allesamt aus sog. Rückkaufswerten vier privater Versicherungen, einer Lebensversicherung und dreier Rentenversicherungen (Bl. 18 Rs., Bl. 32-35 PKH-Beiheft), deren Einsatz für die Prozesskosten ihm weder unmittelbar möglich noch mittelbar via Kündigung eines Vertrages gem. § 115 Abs. 3 ZPO zumutbar ist.

Die sofortige Kündigung der langfristig abgeschlossenen Verträge ist erfahrungsgemäß mit ökonomisch unverhältnismäßigen Nachteilen verbunden, die zwecks Finanzierung der Prozesskosten in Kauf zu nehmen einer Partei grundsätzlich nicht angesonnen werden kann (zum Meinungsstand im Einzelnen Philippi in Zöller, ZPO, 25. Aufl. 2005, § 115, Rz. 58c m.w.N.).

Hinzu kommt, dass in Zeiten des fortschreitenden Abbaus der Leistungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung ergänzende Maßnahmen auch einer vollschichtig erwerbstätigen Partei zur privaten, eigens steuerrechtlich geförderten Altersvorsorge nicht nur vernünftig und ratsam sind, sondern zwecks Wahrung eines halbwegs adäquaten Lebensstandards im Alter mittlerweile geradezu unerlässlich erscheinen. Dies gilt in besonderem Maße dann, wenn, wie hier, infolge Arbeitslosigkeit seit geraumer Zeit keine nennenswerten Beiträge mehr in die gesetzliche Rentenversicherung eingezahlt werden und von daher die private Absicherung notgedrungen den wesentlichen Pfeiler der Altersvorsorge bildet. Der diesbezügliche Aufwand des Antragstellers bewegt sich mit insgesamt 93,83 EUR monatlich (Bl. 18 PKH-Beiheft) in einem relativ bescheidenen und keinesfalls unangemessenen Rahmen.

Es kann schließlich nicht Sinn und Zweck der Prozesskostenhilfe sein, verdienstvolle private Initiativen und Vorkehrungen dieser Art, die anderenorts gerade mit besonderen staatlichen Mitteln gefördert werden, im Nachhinein zu konterkarieren, indem überspannte Anforderungen an die zumutbare Verwertung solcherart erworbener Vermögenswerte gestellt werden.

II. Gerichtsgebühren fallen bei einer erfolgreichen Beschwerde zur Prozesskostenhilfe nicht an (§ 1 Nr. 1 GKG i.V.m. Nr. 1811 des Kostenverzeichnisses der Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG)

Außergerichtliche Kosten sind, wie aus § 127 Abs. 4 ZPO erhellt, im Beschwerdeverfahren zur Prozesskostenhilfe generell nicht erstattungsfähig.

Eine Kostenentscheidung war somit nicht veranlasst.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1612313

NJ 2006, 567

AGS 2007, 141

NJOZ 2007, 156

OLGR-Ost 2007, 43

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