Normenkette

SGB 10 § 116; GG Art. 35; GVEG §§ 23, 28 Abs. 3

 

Tenor

Der Antrag der Antragstellerin auf gerichtliche Entscheidung über den Bescheid des Antragsgegners vom 10.2.2016 wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens trägt die Antragstellerin.

Der Gegenstandswert des Verfahrens wird auf 5.341,09 EUR festgesetzt.

Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I. Der an Morbus Bechterew vorerkrankte Vater der Antragstellerin, G. L., erlitt im Juli 2006 einen Unfall und wurde in der Folgezeit in den Berufsgenossenschaftlichen Kliniken B. in H. ärztlich behandelt, deren Träger der Verein für Berufsgenossenschaftliche Heilbehandlungen H. e.V. ist. Er verstarb am 03.7.2008.

Die Berufsgenossenschaft Nahrungsmittel und Gastgewerbe (BGN) als gesetzliche Unfallversicherung erkannte den Unfall des G. L. als Berufsunfall an und bewilligte dem Verletzten Verletztengeld und eine Verletztenrente sowie der Ehefrau des Verletzten nach dessen Tod Hinterbliebenenrente.

Im Verfahren 6 O 98/13 vor dem LG Halle (Saale) nahm die Antragstellerin als Rechtsnachfolgerin des G. L. den Verein für Berufsgenossenschaftliche Heilbehandlungen H. e.V. auf Zahlung von Schmerzensgeld, Schadensersatz und Unterhaltsrente wegen fehlerhafter ärztlicher Heilbehandlung in Anspruch. Das Verfahren wurde am 23.4.2015 durch Abschluss eines Vergleichs beendet.

Mit Schreiben vom 24.6.2015 begehrt die BGN Akteneinsicht in die Verfahrensakten zu dem Verfahren 6 O 98/13. Zur Begründung des rechtlichen Interesses führt sie an, sie benötige die Akteneinsicht zur Prüfung von Regressansprüchen. Ihrer Meinung nach liegt eine mutmaßliche Schweigepflichtentbindung des Verstorbenen vor, schon weil diesen gesetzliche Mitwirkungspflichten getroffen hätten, bei deren Verletzung er bzw. seine Hinterbliebenen mit einer Leistungskürzung hätten rechnen müssen oder sich schadenersatzpflichtig gemacht hätten.

Der Antragsgegner hat mit Verfügung vom 10.2.2016, der Antragstellerin zugestellt am 18.2.2016, dem Akteneinsichtsgesuch stattgegeben. Die Voraussetzungen des aus Art. 35 Abs. GG abgeleiteten Akteneinsichtsrechts lägen vor, weil die BGN als gesetzliche Unfallversicherung Leistungen gewährt habe und möglicherweise ein Anspruchsübergang nach § 116 SGB X vorliege. Die in der Gerichtsakte befindlichen medizinischen Unterlagen stünden der Akteneinsicht nicht entgegen, da ein mutmaßliches Einverständnis des Versicherten in die Einsichtnahme anzunehmen sei und das Geheimhaltungsinteresse ohnehin dadurch verringert sei, dass die BGN einen erheblichen Teil der medizinischen Dokumentationen und Berichte bereits kenne.

Hiergegen wendet sich die Antragstellerin mit ihrem am 17.3.2016 bei dem Oberlandesgericht Naumburg eingegangenen Antrag auf gerichtliche Entscheidung, mit dem sie vorträgt, die BGN habe grundsätzlich nur ein Recht auf Einsicht in die Behandlungsunterlagen des Verstorbenen, nicht in die übrigen Aktenbestandteile. Für die Einsicht in die Behandlungsunterlagen bestehe aber kein Rechtsschutzbedürfnis, weil der BGN diese bereits vorlägen. Durch Einsicht in die übrigen Aktenbestandteile versuche die BGN in unzulässiger Weise an Informationen zu gelangen, auf die sie keinen Anspruch habe. Im Verfahren 6 O 98/13 hätte die Antragstellerin im Übrigen keine Ansprüche geltend gemacht, die jetzt aufgrund eines Anspruchsüberganges nach § 116 SGB X der BGN zustünden.

II. Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist zulässig.

Die Antragstellerin begehrt mit ihrem Antrag auf Versagung der Akteneinsicht für die BGN die Aufhebung eines sie belastenden Justizverwaltungsaktes. Dabei geht es um das Gesuch eines Dritten, der nicht selbst am Verfahren beteiligt ist. Solche Anträge werden durch Verfügung der Justizbehörde, nämlich des Vorstands des mit dem Verfahren befassten Gerichts, beschieden. Vorliegend wurde die Entscheidung folgerichtig durch den Präsidenten des LG Halle getroffen. Das zulässige Rechtsmittel gegen die Anordnung einer Akteneinsicht ist gemäß § 23 Abs. 1 EGGVG der Antrag auf gerichtliche Entscheidung.

Der hiernach statthafte Antrag wurde auch innerhalb der Antragsfrist gemäß § 26 EGGVG gestellt.

In der Sache hat der Rechtsbehelf keinen Erfolg. Der Antragsgegner hat der BGN zu Recht Akteneinsicht gewährt.

Art. 35 GG ermächtigt und verpflichtet alle Behörden des Bundes und der Länder zur gegenseitigen Rechts- und Amtshilfe. Die BGN, die als Trägerin der gesetzlichen Unfallversicherung und Körperschaft des Öffentlichen Rechts mit der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben nach dem SGB betraut ist, ist Behörde i.S.d. § 1 Abs. 2 SGB X. Für sie wird die Rahmenvorschrift des Art. 35 Abs. 1 durch die §§ 3 ff. SGB X konkretisiert. Sie ist daher nicht nur zur Amtshilfe verpflichtet, sondern kann diese auch in Anspruch nehmen. Auf ihr Ersuchen ist ihr deshalb grundsätzlich Amtshilfe - hier durch Gewährung von Akteneinsicht - zu leisten.

Ebenso wie am Verfahren nicht beteiligten Personen, für die § 299 Abs. 2 ZPO gilt, darf aber auch einer Behörde Akteneinsicht nur gestattet werden, sow...

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