Entscheidungsstichwort (Thema)
Lückenhafte Urteilsfeststellungen zu Einkommens- und Vermögensverhältnissen und Dauer des Fahrverbots
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Schlussfolgerung des Tatrichters von der Anschaffung eines Audi A 6 im Jahre 2000 auf die unzutreffende Angabe des monatlichen Nettoeinkommens von 1.000 EURO im Jahre 2002 ist zweifelhaft, wenn sich dem Urteil nicht entnehmen lässt, ob das Fahrzeug überhaupt im Eigentum des Betroffenen steht oder etwa geleast ist; zudem können sich die Vermögens- und Einkommensverhältnisse des Betroffenen seit der Anschaffung des Wagens bis zum Hauptverhandlungsterminnegativ verändert haben.
2. Ist ein aktueller Auszug aus dem Verkehrszentralregister entgegen der Anregung des Verteidigers nicht eingeholt und dessen Inhalt im Urteil nicht mitgeteilt worden, ist es dem Beschwerdegericht verwehrt, eine Überprüfung der amtsgerichtlichen Feststellungen zur Dauer des Fahrverbots bei längerer Verfahrensdauer vorzunehmen.
Verfahrensgang
AG Halle-Saalkreis (Entscheidung vom 15.08.2002; Aktenzeichen 380 OWi 830 Js 50665/00) |
Gründe
Das Amtsgericht hat den Betroffenen wegen der im Urteil des Amtsgerichts Halle-Saalkreis vom 01. November 2001 rechtskräftig festgestellten vorsätzlichen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit zu einer Geldbuße von 750,- Euro verurteilt und ein dreimonatiges Fahrverbot verhängt.
Dagegen wendet sich der Betroffene mit der Rechtsbeschwerde, mit der er die Verletzung materiellen und formellen Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge Erfolg. Es ist daher ohne Belang, dass eine Verfahrensrüge nicht in der gebotenen Form des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO ausgeführt und demgemäß nicht zulässig erhoben ist.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat in ihrer Antragsschrift vom 13. November 2002 zu dem Rechtsmittel des Betroffenen wie folgt Stellung genommen:
"Das Amtsgericht hatte aufgrund des Senatsbeschlusses vom 11.06.2002 - 1 Ss (B) 55/02 - nur noch über den Rechtsfolgenausspruch zu entscheiden.
Die Entscheidung des Amtsgerichts, den Betroffenen zu einer Geldbuße von 750,00 EURO zu verurteilen und ihm das Führen von Kraftfahrzeugen im Straßenverkehr (gemeint ist offenbar das Führen von Kraftfahrzeugen jeder Art) für die Dauer von 3 Monaten zu untersagen, wird durch die getroffenen Feststellungen nicht getragen.
Das Urteil vom 15.08.2002 enthält ebenso wenig wie das Urteil vom 01.11.2001 Feststellungen, ob der Betroffene zuvor schon straßenverkehrsrechtlich in Erscheinung getreten ist. Vor diesem Hintergrund erscheint die Erhöhung der Regelbuße gemäß der laufenden Nr. 11.3.10 der Tabelle 1 c zur BkatV (von 375,00 EURO) um 100 % auf 750,00 EURO kaum nachvollziehbar.
Im Rahmen der Feststellungen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen ist der Tatrichter, aufgrund des Umstandes, dass der Betroffene offenbar im Jahre 2000 sich für die Anschaffung eines Audi A 6 entschied, zu der Einschätzung gelangt, dass das vom Betroffenen behauptete monatliche Nettoeinkommen von ca. 1.000,00 EURO zu gering angesetzt sei. Dieser Schluss erscheint schon zweifelhaft, da sich dem Urteil nicht entnehmen lässt, ob besagtes Fahrzeug überhaupt im Eigentum des Betroffenen steht oder vielmehr geleast ist. Zudem können sich die Vermögens- und Einkommensverhältnisse des Betroffenen seit der Anschaffung des Wagens bis zum Hauptverhandlungstermin am 15.08.2002 auch negativ verändert haben. Da bei den Bußgeldregelsätzen (vgl. § 3 Abs. 1 BkatV) etwaige Eintragungen des Betroffenen im Verkehrszentralregister nicht berücksichtigt sind, ist eine Überprüfung der Höhe der Geldstrafe (Geldbuße, Anm. d. Senats), da Feststellungen zu einer verkehrsrechtlichen Vorbelastung nicht getroffen worden sind, dem Beschwerdegericht zudem nicht möglich.
Zudem dürfte auch einer Erhöhung der Regelgeldbuße um 100 % der Umstand entgegenstehen, dass zwischen dem Verkehrsverstoß und der nunmehrigen Entscheidung des Tatrichters genau 2 Jahre liegen.
Die Begründung eines dreimonatigen Fahrverbots kann ebenso wenig überzeugen.
Ein Fahrverbot kann nach obergerichtlicher Rechtsprechung dann seinen Sinn verloren haben, wenn zwischen Verkehrsverstoß und letzter tatrichterlicher Verhandlung (OLG Hamm, DAR 2000, 580, 581) bzw. dem Wirksamwerden der Maßnahme (OLG Schleswig, DAR 2000, 584, 585) ein erheblicher Zeitraum liegt, in der Zwischenzeit kein weiteres Fehlverhalten im Straßenverkehr festgestellt worden ist und das Verhalten des Betroffenen auf keine lange Verfahrensdauer gezielt hatte.
Die vorliegende Verfahrensdauer von 2 Jahren (bis zur erneuten Entscheidung durch den Tatrichter) und nunmehr mehr als 2 Jahren und 3 Monaten bis zur Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts allein spricht nicht dagegen, dass es ausnahmsweise der Warn- und Denkzettelfunktion eines Regelfahrverbots nicht mehr bedarf bzw. dass ein kürzeres als das Regelfahrverbot zu verhängen wäre. Ein Abweichen vom Regelfall wäre dann nicht geboten, wenn es sich bei dem Abstand zwischen Tat und Urteil um eine vergleichsweise nicht übermäßig lange Zeits...