Leitsatz (amtlich)
1. Zwar ist allgemein anerkannt, dass ein Rechtsmittel gegen die Aussetzung des Verfahrens im Hinblick auf ein Vorabentscheidungsersuchen des Prozessgerichts in dieser Sache an den Gerichtshof der Europäischen Union nach Art. 267 AEUV nicht eröffnet ist. Wenn das aussetzende Gericht jedoch diesen Weg nicht wählt, sondern isoliert im Hinblick auf ein Vorabentscheidungsersuchen in einem vermeintlich gleichgelagerten Rechtsstreit eines anderen Gerichts die Aussetzung anordnet, gebietet es der in § 252 ZPO verankerte Justizgewährungsanspruch zum Schutze der Parteien, dass die Identität der Vorlagefrage überprüfbar ist.
2. Das Rechtsmittel bleibt ohne Erfolg, wenn der Ausgang des Rechtsstreits maßgeblich davon abhängt, dass eine in die ausschließliche Kompetenz des Gerichtshofs zur Auslegung von Unionsrecht fallende rechtliche Annahme richtig ist, diese Rechtsfrage in einem parallelen Rechtsstreit dem Gerichtshof zur Vorabentscheidung bereits vorgelegt worden, es vertretbar ist, dass das Prozessgericht nicht von einem acte claire ausgeht, und schließlich das Prozessgericht das ihm eingeräumte Ermessen unter Berücksichtigung aller für und wider die Aussetzung sprechenden Gesichtspunkte ausgeübt hat.
Verfahrensgang
LG Magdeburg (Beschluss vom 27.03.2024; Aktenzeichen 10 O 1034/23) |
Tenor
I. Die sofortige Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Landgerichts Magdeburg vom 27.03.2024 wird zurückgewiesen.
II. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
III. Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf bis zu 10.000,00 EUR festgesetzt.
Gründe
A. Der Kläger macht Zahlungsansprüche wegen verlorener Einsätze bei Online-Glücksspielen geltend, an denen er auf den Internetseiten der Beklagten teilgenommen hat. Mit seiner Klage fordert er Verluste in Höhe von 45.327,35 EUR für den Zeitraum 2017 bis 2022 zurück.
Die Klageschrift vom 03.08.2023 ist am 04.08.2023 bei dem Landgericht Magdeburg eingegangen und der Beklagten am 26.09.2023 in Malta zugestellt worden.
Der Kläger vertritt die Auffassung, dass etwaige Verträge mit der Beklagten wegen eines Verstoßes gegen das Totalverbot aus § 4 Abs. 4 Glücksspielstaatsvertrag (nachfolgende: GlüStV) 2012 gemäß § 134 BGB nichtig seien und er deshalb seine Einsätze gemäß § 812 BGB bzw. gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 4 Abs. 4 GlüStV 2012 zurückfordern könne.
Mit Beschluss vom 27.03.2024 hat das Landgericht Magdeburg den Rechtsstreit nach Anhörung der Parteien bis zu einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (nachfolgend: EuGH) im Verfahren C-440/23 ausgesetzt, weil in diesem Verfahren insb. die Klärung der Frage zu erwarten sei, ob § 4 Abs. 4 GlüStV 2012 unionsrechtskonform gewesen sei. Im Übrigen wird auf die Gründe des vorgenannten Beschlusses des Landgerichts Magdeburg Bezug genommen (Bl. 90 ff. d.A.).
Gegen diesen seinem Prozessbevollmächtigten am 28.03.2024 zugestellten Beschluss hat der Kläger mit Schriftsatz vom 10.04.2024, eingegangen bei dem Oberlandesgericht am selben Tage, sofortige Beschwerde eingelegt.
Das Vorabentscheidungsverfahren vor dem EuGH zu C-440/23 betrifft insbesondere die Frage, ob § 4 Abs. 4 GlüStV 2012 mit Blick auf die in Art. 56 AEUV verkörperte Dienstleistungsfreiheit unionsrechtskonform ist.
Der am 01.07.2012 in Kraft getretene und bis zum 30.06.2021 geltende GlüStV 2012 wurde im Jahr 2021 durch eine Neuregelung ersetzt.
Der Kläger rügt mit der Beschwerde:
Das Landgericht habe das Verfahren nicht in entsprechender Anwendung des § 148 ZPO aussetzen dürfen. Es gebe keinen Aussetzungsgrund. Die relevanten Rechtsfragen seien in der Rechtsprechung zahlreicher Oberlandesgerichte dahingehend entschieden worden, dass von einer Unionsrechtskonformität auszugehen sei. Die zu erwartende Entscheidung des EuGH im Verfahren C-440/23 sei nicht vorgreiflich, da sie weder materielle Rechtskraft noch Interventions- oder Gestaltungswirkung entfalte. Außerdem habe der EuGH maßgebliche Grundsätze, nach denen sich die Unionsrechtsmäßigkeit von § 4 Abs. 4 GlüStV 2012 richte, selbst konkretisiert. Die Aussetzungsentscheidung sei überdies ermessensfehlerhaft, da das Interesse des Klägers, innerhalb angemessener Zeit Rechtsschutz zu erlangen, das Interesse der Beklagten, nicht an ein (rechtskräftiges) Urteil gebunden zu sein, das ihrer Ansicht nach unionsrechtswidrig sei, überwiege. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Beschwerdeschrift vom 10.04.2024 (Bl. 100 ff. d.A.) verwiesen.
Der Kläger beantragt,
den Beschluss des Landgerichts Magdeburg vom 27.03.2024 aufzuheben und die Sache an das Landgericht zurückzuverweisen,
hilfsweise, für den Fall der Zurückweisung der Beschwerde, die Rechtsbeschwerde zuzulassen.
Die Beklagte hat bislang keinen ausdrücklichen Antrag gestellt und im Beschwerdeverfahren nicht weiter Stellung genommen.
Das Landgericht Magdeburg hat der sofortigen Beschwerde mit Beschluss vom 28.05.2024 nicht abgeholfen und die Sache dem Oberlandesgericht zur Entscheidung vorgelegt.
B. Die sofortige Beschwerde ist zulässig, hat in der Sache aber keinen Erfolg.
I. D...