Leitsatz (amtlich)
Ein Träger von Sozialleistungen (hier: eine gesetzliche Krankenkasse) ist nach § 64 Abs. 2 S. 1, Abs. 3 S. 1 SGB X von der Entrichtung von Gebühren für eine gerichtliche Auskunft (hier: über die Erben des Leistungsempfängers) befreit, wenn die Auskunft aus Anlass der Erstattung einer Sozialleistung eingeholt worden ist.
Verfahrensgang
AG Quedlinburg (Beschluss vom 13.09.2010; Aktenzeichen 1 IV 355/06) |
Tenor
Auf die Beschwerde vom 11.10.2010 werden der Beschluss der Rechtspflegerin des AG - Nachlassgericht - Quedlinburg vom 13.9.2010 und der Kostenansatz des AG Quedlinburg vom 20.7.2010 (1218-X53218-0) aufgehoben.
Das Erinnerungs- und das Beschwerdeverfahren sind gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.
Gründe
A. Mit Schreiben vom 14.4.2010 bat die Beschwerdeführerin in der Nachlasssache betreffend den am 5.8.2009 verstorbenen "P. G." das AG Quedlinburg um die Mitteilung des Verfahrensstandes. Mit Schreiben vom 7.6.2010 teilte das AG - Rechtspflegerin - der Beschwerdeführerin mit, dass der Erblasser von G. G. allein beerbt worden sei. Gleichzeitig wies es auf die Gebührenpflichtigkeit dieser Auskunft gem. Nr. 700 (richtig Nr. 800) der Anlage zu § 2 Abs. 1 JVKostO hin. Am 20.7.2010 erteilte das AG dem Beschwerdeführer eine entsprechende Kostenrechnung über 10 EUR, die diese beglich.
Gegen den Kostenansatz vom 20.7.2010 hat die Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 12.8.2010 Erinnerung mit der Begründung eingelegt, dass sie, da es sich um ein Amtshilfeersuchen gehandelt habe, gem. § 3 SGB X i.V.m. Art. 35 GG kostenbefreit sei. Mit Beschluss vom 13.9.2010 hat das AG - Rechtspflegerin - der Erinnerung "nicht abgeholfen". Gegen die amtsgerichtliche Entscheidung hat die Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 11.10.2010 Beschwerde eingelegt. Mit Verfügung vom 15.10.2010 hat das AG - Rechtspflegerin - der Beschwerde nicht abgeholfen und diese dem LG Magdeburg zur Entscheidung vorgelegt. Mit Verfügung vom 16.11.2010 hat der Vorsitzende der 3. Zivilkammer des LG Magdeburg das Verfahren zuständigkeitshalber an das OLG Naumburg abgegeben.
B. I. Die Beschwerde ist gem. § 13 Abs. 1 S. 2 JVKostO i.V.m. § 14 Abs. 3 S. 2 KostO zulässig.
II. Beschwerdegericht ist nach § 13 Abs. 1 S. 2 JVKostO i.V.m. §§ 14 Abs. 4 S. 2 KostO, 119 Abs. 1 Nr. 1b) GVG das OLG.
III. Der Senat entscheidet in der im Gerichtsverfassungsgesetz vorgeschriebenen Besetzung, weil der nach § 13 Abs. 1 S. 2 JVKostO i.V.m. §§ 14 Abs. 7 S. 1 Halbs. 2 KostO zuständige Einzelrichter das Verfahren dem Senat mit Beschluss vom 26.1.2011 wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache gem. § 13 Abs. 1 S. 2 JVKostO i.V.m. § 14 Abs. 7 S. 2 KostO übertragen hat.
IV. Die Beschwerde hat in der Sache Erfolg. Die Beschwerdeführerin ist gem. § 8 Abs. 2 JVKostO i.V.m. § 64 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 SGB X von den Kosten befreit. Der Gebührenansatz vom 20.7.2010 ist daher ohne Rechtsgrund erfolgt.
1. Eine Kostenbefreiung nach § 64 Abs. 1 SGB X bleibt von vornherein außer Betracht. Diese Vorschrift gilt für das Verfahren bei den Behörden nach dem SGB X und nicht für das hier in Rede stehende gerichtliche Verfahren.
2. Der Beschwerdeführerin steht jedoch Gebührenfreiheit nach § 64 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 S. 1 SGB X zu.
a) Nach § 64 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 S. 1 SGB X sind Geschäfte und Verhandlungen, die aus Anlass der Beantragung, Erbringung oder der Erstattung einer Sozialleistung nötig werden, kostenfrei. Diese Regelung gilt, wie auch für die inhaltlich vergleichbare Bestimmung des § 118 Abs. 1 Halbs. 1 BSHG allgemein anerkannt war, nicht nur für die Rechtsbeziehungen zwischen Bürger und Sozialleistungsträger, sondern gleichfalls im Verhältnis von Sozialleistungsträgern zu anderen Behörden, und zwar auch zu solchen, deren Verwaltungstätigkeit nicht nach dem Sozialgesetzbuch ausgeübt wird.
aa) Dem steht die systematische Stellung des § 64 SGB X im Abschnitt "Kosten, Zustellung und Vollstreckung" nicht entgegen. Diese Bereiche betreffen nicht ausschließlich das Verhältnis des Bürgers zur Behörde. Denn zumindest die Vorschriften über Kosten und Zustellung haben auch im Verhältnis von Behörden zueinander ihren Sinn und ihre praktische Bedeutung.
bb) Auch die Vorschrift des § 7 Abs. 1 SGB X steht der Annahme der Kostenfreiheit nicht entgegen. § 64 Abs. 2 Satz 1 SGB X ist insoweit als Spezialvorschrift anzusehen, die für das behördliche Zusammenwirken anlässlich der Beantragung, Erbringung oder Erstattung einer Sozialleistung stets Kostenfreiheit anordnet, gleichgültig, ob die betreffenden Maßnahmen auch als Amtshilfe anzusehen sind oder nicht. Denn die Befreiung von den Kosten bezweckt, im Bereich der Sozialleistungen die verfügbaren, der Verwirklichung sozialer Gerechtigkeit und sozialer Sicherheit dienenden Mittel (vgl. § 1 Abs. 1 Satz 1 SGB - Allgemeiner Teil) möglichst ungeschmälert ihrer eigentlichen Zweckbestimmung zuzuführen, indem die Leistungsempfänger und Leistungsträger von vermeidbaren Kostenbelastungen freigehalten werden. Bei dieser Auslegung des § 64 Abs. 2 Satz 1 S...