Leitsatz (amtlich)

Bei uneingeschränkt gemeinsamer elterlicher Sorge besteht kein auf Herausgabe gerichteter Anspruch des einen Elternteils gegen den anderen. Das Herausgabeverlangen setzt stets eine Sorgerechtsentscheidung voraus.

 

Verfahrensgang

AG Halberstadt (Beschluss vom 02.06.2017; Aktenzeichen 8 F 158/17)

 

Tenor

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Halberstadt vom 02. Juni 2017, Az.: 8 F 158/17 EAHK, wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 1.500,00 EUR festgesetzt.

Der Antrag des Antragstellers auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird zurückgewiesen.

 

Gründe

I. Der Antragsteller und die Antragsgegnerin sind die Eltern des am 25. Februar 2011 geborenen Kindes L. A., dessen Herausgabe der Antragsteller im Wege der einstweiligen Anordnung gegenüber der Antragsgegnerin geltend macht. Das Kind lebt seit der Trennung der Eltern im Februar 2015 im Haushalt der Mutter. Die am 08. August 2011 geschlossene Ehe der Eltern ist inzwischen geschieden.

Die Eltern haben am 25. Januar 2016 eine schriftliche Vereinbarung getroffen, wonach L. im Haushalt der Mutter verbleibt unter der Bedingung, dass dem Vater angemessener Umgang gewährt wird.

Zwischen den Eltern sind die Ausübung der elterlichen Sorge und das Umgangsrecht seit längerem streitig. Diesbezüglich waren und sind beim Familiengericht Halberstadt mehrere Verfahren anhängig, u. a. das Verfahren mit dem Az. 8 F 943/15 SO, in welchem die Eltern insbesondere über die Frage streiten, wer das Aufenthaltsbestimmungsrecht für L. künftig ausüben darf. In diesem Verfahren hat das Familiengericht die Einholung eines Sachverständigengutachtens angeordnet.

Nachdem der Antragsteller bereits mit Antrag vom 06. März 2016 in dem Verfahren 8 F 147/16 EAHK die einstweilige Herausgabe des Kindes begehrt hatte, den der Senat mit am 14. Dezember 2016 erlassenen Beschluss, Az.: 4 F 51/16 (EAO), zurückgewiesen hat, hat er am 10. April 2017 erneut im Wege der einstweiligen Anordnung die Kindesherausgabe beantragt. Er hat vorgetragen, dass die Antragsgegnerin seit Monaten die gerichtlich geregelten Umgangskontakte verweigere und das Kind manipuliere, was zu einer Entfremdung des Kindes von seinen engsten Bezugspersonen, nämlich seinem Vater und ihren Geschwistern, führe.

Mit Beschluss vom 11. April 2017 (Bl. 31-34 d. A.) hat das Familiengericht den Antrag ohne mündliche Erörterung zurückgewiesen. Auf Antrag des Kindevaters vom 15. April 2017 (Bl. 37 d. A.) hat es am 29. Mai 2017 mündlich verhandelt und die Eltern sowie den Vertreter des Jugendamtes angehört (Bl. 75/76 d. A.).

Mit Beschluss vom 02. Juni 2017 (Bl. 86-88 d. A.) hat das Familiengericht den Beschluss vom 11. April 2017 aufrechterhalten. Grundsätzlich bestehe gem. § 1632 Abs. 1 BGB bei gemeinsamer elterlicher Sorge ein Herausgabeanspruch gegen den anderen Elternteil nur im Falle eines widerrechtlichen Vorenthaltens, welcher nicht vorliege. Der Umstand, dass in der Vergangenheit kein Umgang, gleichwohl aus welchen Gründen, stattgefunden habe, rechtfertige die Herausgabe nicht. Die Antragsgegnerin gewähre dem Antragsteller - nach Festsetzung von Ordnungsmitteln gegen sie - wieder Umgang mit dem Kind. Im Übrigen habe bei Verweigerung des Umgangs die ggf. zwangsweise Vollstreckung des gerichtlichen Umgangstitels Vorrang vor einer Herausgabeanordnung. Erst wenn deren Erfolglosigkeit feststehe, sei ein Herausgabeanspruch ernsthaft in Erwägung zu ziehen.

Gegen diese Entscheidung richten sich die Beschwerdeschriften des Antragstellers vom 09. und 12. Juni 2017, welcher seinen erstinstanzlichen Vortrag wiederholt und vertieft und darüber hinaus rügt, dass das Familiengericht verfahrensfehlerhaft dem Kind keinen Verfahrensbeistand bestellt und es auch nicht angehört habe.

II. Die Beschwerde des Antragstellers ist gem. §§ 57 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2, 58 ff. FamFG zulässig. In der Sache bleibt sie ohne Erfolg. Das Amtsgericht hat das Herausgabeverlangen des Antragstellers gem. § 1632 Abs. 1 BGB im Ergebnis zu Recht zurückgewiesen.

1. Die Vorschrift des § 1632 BGB räumt den Eltern, die als Inhaber der Personensorge die Pflicht und das Recht haben, den Aufenthalt des Kindes zu bestimmen, einen Herausgabeanspruch ein, wenn ihnen das Kind widerrechtlich vorenthalten wird. Der Anspruch kann sowohl gegenüber Dritten als auch gegenüber dem anderen Elternteil geltend gemacht werden. Anders als das gegen Dritte gerichtete Herausgabeverlangen ist der Elternstreit um die Herausgabe jedoch strukturell stets ein Konflikt um einen Bestandteil der elterlichen Sorge zwischen aktuell oder zumindest potentiell (z. B. §§ 1680, 1681, 1626a Abs. 1 und 2, 1671 BGB) gleichermaßen Berechtigten (Huber, MK-BGB, 7. Aufl., § 1632, Rn. 24). Daraus folgt, dass bei gemeinsamer Ausübung der elterlichen Sorge gem. § 1671 Abs. 1 Satz 1 1. Halbsatz BGB, die auch die Aufenthaltsbestimmung umfasst, der eine Elternteil keinen Herausgabeanspruch gegenüber dem ander...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge