Leitsatz (amtlich)

1. Die Verzögerung einer medikamentösen Thromboseprophylaxe mit Heparin (im Anschluss an eine Operation zur Sanierung von Abszessen im Hals- und Rachenbereich) um rund drei Wochen stellt einen "nur" einfachen und keinen groben Behandlungsfehler dar, wenn die Dokumentation erkennen lässt, dass auf Behandlerseite eine Abwägung vorgenommen wurde (wenngleich mit einem unrichtigen Abwägungsergebnis), dabei das Blutungsrisiko bei Heparingabe in den Mittelpunkt gerückt wurde und man sich deshalb zunächst für eine nur mechanische Thromboseprophylaxe entschied.

2. Unter medizinisch-therapeutischen Gesichtspunkten ist zwar das Legen einer Magensonde an sich, nicht aber das "wie" der Verlegung - Legung "unter Sicht" oder "blind" - zu dokumentieren. Im Falle einer sich herausstellenden Fehllage der Magensonde (hier im rechten Hauptbronchus) kann die Patientenseite daher aus der unterbliebenen Dokumentation der konkreten Operationstechnik keinerlei Beweiserleichterung für sich herleiten.

 

Verfahrensgang

LG Halle (Saale) (Urteil vom 11.12.2015; Aktenzeichen 6 O 180/13)

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Halle vom 11. Dezember 2015 (Az. 6 O 180/13) wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Dieses und das angefochtene Urteil sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Gläubiger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 120 Prozent des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Schuldner vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 Prozent des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

und beschlossen:

Der Gebührenstreitwert für die Berufungsinstanz wird auf die Stufe bis 230.000,00 Euro festgesetzt.

 

Gründe

I. Der im Dezember 1967 geborene und von seiner Ehefrau als gesetzliche Betreuerin vertretene Kläger befand sich vom 11. Oktober bis 21. November 2008 im Klinikum des Beklagten in medizinischer Behandlung, nachdem er dort wegen eines ausgedehnten Peritonsillar- und Retropharyngealabszesses notfallmäßig aufgenommen und noch am Tage seiner Aufnahme operiert worden war. Bei seiner Vorstellung gab er an, seit zwei Tagen akute Beschwerden zu haben. Ihm sei außerdem eine orale Nahrungsaufnahme nicht möglich. Während der Operation wurde dem Kläger eine Magensonde gelegt, die unrichtig platziert wurde und in den rechten Hauptbronchus gelangte. Unmittelbar nach der Operation kam der Kläger auf die Intensivstation, wo die Fehlplatzierung der Magensonde erkannt und behoben wurde. Bei der Übergabe zwischen Operationssaal und Intensivstation wurden Beatmungsprobleme und eine Undichtigkeit des Cuffs (= Blockmanschette, kleiner Ballon am Ende des Endotrachealtubus) festgestellt. Postoperativ setzte auch eine pneumatische Thromboseprophylaxe mittels Beinmanschette ein. Ab dem 02. November 2008 erhielt der Kläger zusätzlich Heparin. Der weitere Krankheitsverlauf war durch einen septischen Schock und Multiorganversagen gekennzeichnet. Wegen einer am 30. Oktober 2008 beobachteten neurologischen Symptomatik kam es am 03. November 2008 zu einer Computertomographie, bei der zwei Hirninfarkte der Arteria cerebri posteriores festgestellt wurden. Mittels Ultraschalls wurden auch Thromben in den Becken- und Beinvenen festgestellt. Am 21. November 2008 wurde der Kläger zur Rehabilitation in die Klinik K. entlassen. Für die Zeit ab August 2010 wurde für den Kläger ein Grad der Behinderung von 50 Prozent festgestellt (Anlage K4 - I, 44).

Unter Berufung auf ein im Auftrag der Schlichtungsstelle für Arzthaftpflichtfragen der norddeutschen Ärztekammern unter dem 29. April 2010 erstelltes Gutachten des Herrn Prof. Dr. med. S. und der Frau Prof. Dr. N. hat der Kläger behauptet, dass eine Oxygenierungsstörung unmittelbar nach der Operation aufgetreten sei, ebenso eine signifikante Einschränkung der Lungenfunktion, ein akutes Nierenversagen sowie die Ausbildung eines schweren septischen Krankheitsbildes. Behandlungsfehler lägen vor, die als grob zu qualifizieren seien. Die Hirninfarkte gingen entweder ursächlich auf ein Blutgerinnsel infolge unterlassener Thromboseprophylaxe oder auf die Sepsis zurück.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Darstellungen in der Klageschrift vom 06. Dezember 2013 (I, 76) und in dem angefochtenen Urteil Bezug genommen (II, 153), wo auf den Seiten 2 f. die vom Kläger auf behauptete Behandlungsfehler zurückgeführten gesundheitlichen Beschwerden und körperlichen Einschränkungen wiedergegeben werden.

In erster Instanz hat der Kläger beantragt,

1. die Beklagte zu verurteilen, an ihn ein angemessenes Schmerzensgeld - der Kläger hält 150.000,00 Euro für angemessen - zu zahlen, dessen konkrete Bemessung in das pflichtgemäße Ermessen des Gerichts gestellt wird, nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit,

2. die Beklagte zu verurteilen, an ihn 33.064,19 Euro zu zahlen, nebst Zinsen in Höhe von 5 Pr...

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