Entscheidungsstichwort (Thema)

Zuschlagsschreiben

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Erteilung des Zuschlags mittels eines auf der Grundlage des Formblattes HVA B-StB Zuschlagsschreiben 04-16 verfassten Schreibens, bei dem hinsichtlich der Vertragsfristen die zweite Alternative angekreuzt und ausgefüllt wurde, stellt eine Ablehnung des im Vergabeverfahren unterbreiteten Angebots des Bieters und zugleich ein neues Angebot des Auftraggebers dar. Für einen wirksamen Vertragsschluss bedarf es der - vorbehaltlosen - Annahme des modifizierten Angebots durch den Bieter.

2. Zwar rechtfertigt das Fehlen zuschlagsfähiger Angebote aufgrund des Verhaltens des Auftraggebers eine Aufhebung nach § 17 Abs. 1 Nr. 1 VOB/A nicht. Die Verschiebung des Baubeginns stellt regelmäßig auch keine grundlegende Änderung der Vergabeunterlagen i.S. von § 17 Abs. 1 Nr. 2 VOB/A dar. Ein anderer, ähnlich wie in Nr. 1 und Nr. 2 geregelter schwerwiegender Aufhebungsgrund i.S. von § 17 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A kann aber darin liegen, dass der Bieter für den Fall der Zuschlagserteilung mit Verschiebung des Baubeginns eine erhebliche Kostensteigerung ankündigt, welche als eine extreme Verzerrung des Wettbewerbsergebnisses zu bewerten ist.

3. Die Geltendmachung von Sekundäransprüchen wegen eines Vergaberechtsverstoßes hängt jedenfalls nicht generell von der Anbringung einer Rüge nach § 160 Abs. 3 GWB und erst recht nicht von der Anbringung eines Nachprüfungsantrages ab.

4. In einer öffentlichen Ausschreibung nach § 3 Abs. 1 VOB/A besteht für einen öffentlichen Auftraggeber trotz des weiten Wortlauts des § 18 Abs. 2 VOB/A im Hinblick auf das Nachverhandlungsverbot des § 15 Abs. 3 VOB/A keine rechtlich zulässige Möglichkeit, die ausgeschriebene Leistung durch Erweiterungen, Änderungen oder Einschränkungen im Zuschlagsschreiben zu modifizieren. Die Vorschrift des § 18 Abs. 2 VOB/A ist einschränkend dahin auszulegen, dass eine Abweichung vom Angebot vergaberechtlich nur dann zulässig ist, wenn sie nicht gegen das Nachverhandlungsverbot verstößt.

 

Verfahrensgang

LG Magdeburg (Urteil vom 08.11.2018; Aktenzeichen 9 O 761/18)

 

Nachgehend

BGH (Urteil vom 03.07.2020; Aktenzeichen VII ZR 144/19)

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das am 8. November 2018 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 9. Zivilkammer des Landgerichts Magdeburg abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die Klage wird hinsichtlich des Haupt- und des Hilfsantrages abgewiesen.

Auf den äußerst hilfsweise gestellten Antrag der Klägerin wird festgestellt, dass die Zuschlagserteilung unter Abänderung mit Zuschlagsschreiben vom 13. April 2018 vergaberechtswidrig war.

Die Kosten des Rechtsstreits in beiden Instanzen hat die Klägerin zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Zwangsvollstreckung durch die Beklagte durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu voll-streckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe geleistet hat.

Die Revision zum Bundesgerichtshof wird zugelassen.

und beschlossen:

Der Kostenwert des Berufungsverfahrens wird auf eine Gebührenstufe bis zu 185.000,00 EUR festgesetzt.

 

Gründe

A. Die Prozessparteien streiten primär über die Wirksamkeit eines in einer öffentlichen Ausschreibung geschlossenen Bauvertrages.

Die Beklagte betrieb das Bauvorhaben "Erhaltung und Fahrbahnerneuerung für die Bundesstraße B ... zwischen den Anschlussstellen G. und Z.". Die Landesstraßenbaubehörde Sachsen-Anhalt schrieb in Bundesauftragsverwaltung durch ihren Regionalbereich W. (künftig: Vergabestelle) die hierfür erforderlichen Leistungen öffentlich nach der Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen, Teil A, in der Fassung von 2016 (VOB/A 2016) aus, darunter am 14.12.2017 auch das Los 12 "Streckenbau und Schutzeinrichtungen zwischen AS Z. und AS O.", Vergabenummer ... . Die ursprünglich für das Vergabeverfahren bestimmte Bindefrist endete am 09.03.2018. Als Ausführungsfrist war sowohl in der Auftragsbekanntmachung als auch in den Vergabeunterlagen jeweils der Zeitraum vom 05.04.2018 bis zum 11.07.2018 vorgesehen.

In den Vergabeunterlagen wurden alle Leistungsparameter zwingend vorgegeben, einziges Zuschlagskriterium war der niedrigste Angebotspreis. Bestandteil der Vergabeunterlagen waren die auf der Grundlage des Formulars HVA B-StB Besondere Vertragsbedingungen (Stand:) 04-16 vorgegebenen Vertragsbedingungen, welche unter Ziffer 2 Vertragsfristen als Beginn der Ausführung (Ziffer 2.1) "frühestens am 05.04.2018" und als Vollendung der Ausführung nach Datum (Ziffer 2.3) "spätestens am 11.07.2018" bestimmten.

Die Klägerin gab ihr Angebot für das Los 12 vom 14.02.2018 fristgerecht und konform zu den Vergabeunterlagen ab. Im Rahmen der Angebotswertung wählte die Vergabestelle dieses Angebot als das wirtschaftlich günstigste Angebot aus.

Die Vergabestelle forderte die Bieter zweimal, zuletzt mit ihrem Schreiben vom 03.04.2018, zur Verlängerung der Bindefrist, jeweils "wegen der Verzögerung bei der Schaffung der bautechnischen Voraus...

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