Leitsatz (amtlich)
Das bloße Absperren eines Schulhofs mit weiß-rotem sog. Flatterband genügt nicht, um der Gefahr angemessen zu begegnen, dass eine im 4. Stock eines leerstehenden Schulgebäudes befindliche und nach Kenntnis der Schulleitung bereits zersplitterte Glasscheibe auf den Schulhof fallen könnte. Dies gilt um so mehr, wenn unter dem beschädigten Fenster eine Sitzbank steht.
Verfahrensgang
LG Halle (Saale) (Urteil vom 15.12.2015; Aktenzeichen 5 O 94/14) |
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das am 15.12.2015 verkündete Einzelrichterurteil der 5. Zivilkammer des LG Halle wird zurückgewiesen.
Lediglich klarstellend wird festgestellt, dass sich der streitgegenständliche Unfall am 22.6.2013 gegen 16:00 Uhr ereignet hat.
Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
Dieses und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar.
und beschlossen:
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf die Gebührenstufe bis 13.000 Euro festgesetzt.
Gründe
I. Von der Darstellung der tatsächlichen Feststellungen wird abgesehen (§§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 Satz 1 ZPO).
II. Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Denn das angefochtene Urteil beruht weder auf einer Rechtsverletzung (§§ 546, 513 Abs. 1 1. Alt. ZPO) noch rechtfertigen die nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung (§ 513 Abs. 1 2. Alt. ZPO).
Der Kläger kann von der beklagten Stadt Schadensersatz und Schmerzensgeld nach §§ 839 Abs. 1 Satz 1, 249, 253 Abs. 2 BGB i.V.m. Art. 34 Satz 1 GG in der vom LG ausgeurteilten Höhe verlangen.
Die beklagte Stadt war als Schulträgerin für das Schulgelände verkehrssicherungspflichtig. Ihre Verkehrssicherungspflicht hat sie schuldhaft verletzt. Nach anerkannten Rechtsgrundsätzen hat jeder, der eine Gefahrenquelle schafft oder unterhält, die nach Lage der Verhältnisse erforderlichen Vorkehrungen zum Schutz anderer Personen zu treffen. Diese Pflicht wird allerdings nicht schon durch jede bloß theoretische Möglichkeit einer Gefährdung ausgelöst. Da eine jeglichen Schadensfall ausschließende Verkehrssicherung nicht erreichbar ist und auch die berechtigten Verkehrserwartungen nicht auf einen Schutz vor allen nur denkbaren Gefahren ausgerichtet sind, beschränkt sie sich auf das Ergreifen solcher Maßnahmen, die nach den Gesamtumständen des konkreten Falles zumutbar sind und die ein verständiger und umsichtiger, in vernünftigen Grenzen vorsichtiger Mensch für notwendig und ausreichend hält, um andere vor Schaden zu bewahren.
Die Nichtabwendung einer Gefahr begründet aber eine Haftung des Sicherungspflichtigen dann, wenn sich vorausschauend für ein sachkundiges Urteil die naheliegende Möglichkeit ergibt, dass Rechtsgüter anderer Personen verletzt werden können (z.B. BGH, VersR 1990, 498). So liegt der Fall hier. Denn es war klar erkennbar, dass Teile der während des Schulunterrichts am Tag vor dem Unfall im 4. Stock des Schulgebäudes zersplitterte Glasscheibe auf den Schulhof fallen und damit erhebliche Verletzungsgefahren begründet konnten. Dies galt hier umso mehr, als unter dem Fenster ein Sitzbank stand.
Unter diesen Umständen war die bloße Absperrung des Schulhofes mit einem weiß-roten Absperrband, welches nach der glaubhaften Aussage des Zeugen S. zudem teilweise auf dem Boden lag, nicht geeignet, auf diese erhebliche Gefahr aufmerksam zu machen bzw. dieser angemessen zu begegnen. Auch die bloße Mitteilung des Schadensfalls an das Zentrale Gebäudemanagement der beklagten Stadt, mit der Bitte um Beseitigung durch den Hausmeister der Schule, war hier nicht ausreichend. Es war vielmehr ein sofortiges Handeln geboten und zumutbar. So wäre es für die Beklagte ohne weiteres möglich und vor dem Hintergrund der erkennbaren Gefahrenlage auch zumutbar gewesen, entweder durch geeignetes eigenes Personal oder durch die sofortige Beauftragung eines Dritten unmittelbar zu veranlassen, die zerbrochene Glasscheibe aus den sich nach innen öffnenden Fenstern (mit all ihren verbliebenen Resten) aus dem Fensterrahmen zu entfernen. Dass ein weiß-rotes Absperrband für Kinder oder Jugendliche kein Hindernis darstellt, um auf den Schulhof zu gelangen, hätte der Beklagten auch bewusst sein müssen. Zumindest aber hätte ein zusätzlicher deutlicher Hinweis auf die drohende Gefahr an der unter dem Fenster stehenden Bank angebracht werden müssen.
Soweit die beklagte Stadt in Zweifel zieht, dass auf dem Schulgelände eine Verkehrssicherungspflicht gegenüber Kindern oder Jugendlichen bestand, die dort nicht zur Schule gingen, ist ihr Vorbringen erkennbar nicht begründet. Denn ein Verkehrssicherungspflichtiger darf sich nicht darauf verlassen, dass sich Kinder und Jugendliche nicht unbefugt in einen Gefahrenbereich begeben. Dies gilt umso mehr dann, wenn dieser - wie hier der Schulhof - einen besonderen Anreiz für den kindlichen oder jugendlichen Spieltrieb bietet und Gefahren gerade für diesen Verkehrskreis nicht ohne weiteres erkennbar sind (z.B. BGH, NJW 1995, 2631).
Zwar entspricht es dem Wissens- und Erfahrungsst...