Leitsatz (amtlich)
Liegt im Arzthaftungsprozess bereits ein Sachverständigengutachten vor, das einen Behandlungsfehler verneint und nach dem sich ein dem Eingriff innewohnendes nicht voll beherrschbares Risiko verwirklicht hat, trifft den Patienten eine gewisse Substantiierungslast. Er muss sich mit dem Gutachten auseinander setzen und konkrete Behandlungsfehler des Arztes mindestens im Groben bezeichnen.
Allein die Unterzeichnung eines Aufklärungsbogens durch den Patienten beweist für sich allein nicht, ob der Patient ihn gelesen und verstanden hat, oder dass der Inhalt mit ihm erörtert wurde. Deshalb sind bei Bestreiten angebotene Beweise für das stattgefundene Aufklärungsgespräch und dessen Inhalt zu erheben.
Verfahrensgang
LG Dessau-Roßlau (Urteil vom 28.02.2014; Aktenzeichen 4 O 400/13) |
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das am 28.2.2014 verkündete Urteil des LG Dessau-Roßlau einschließlich des ihm zugrunde liegenden Verfahrens aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Berufung, an das LG Dessau-Roßlau zurückverwiesen.
Kosten des Berufungsverfahrens werden nicht erhoben.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
und beschlossen:
Der Streitwert für den Berufungsrechtszug wird auf die Gebührenstufe bis 22.000 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Der am 1.3.1932 geborene Kläger nimmt die Beklagte nach offener konventioneller operativer Ausschaltung eines großen abdominellen Aortenaneurysmas (Querdurchmesser 6 cm) mit Hilfe einer Prothese vom 21.8.2009 auf Schadensersatz (Schmerzensgeld i.H.v. mindestens 20.000 EUR und Feststellung der Ersatzpflicht) in Anspruch. Die Wahl der Operationsmethode (entweder offene Aneurysmaausschaltung durch trans- oder retroperitonealen Zugang oder endovaskuläre Methode mittels transfemoraler Implantation eines gecoverten Stentgraft) hatte der Kläger mit den Ärzten der Beklagten besprochen. Den Aufklärungsbogen "Abdominelles Aortenaneurysma" (Anlagenband) unterschrieb der Kläger am 20.8.2009.
Vorprozessual hat die Krankenkasse des Klägers ein Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Sachsen-Anhalt vom 23.9.2010 eingeholt (Anlagenband). Dieses kam zu dem Ergebnis, dass die Operation indiziert war und nach einem Standardverfahren durchgeführt wurde. Nach dem Inhalt des Operationsberichtes sei der Eingriff sach- und fachgerecht ohne Verletzung elementarer medizinischer Standards erfolgt. Soweit der Kläger über einen Potenzverlust klage, kämen hierfür verschiedenste, nicht operationsbedingte Ursachen in Betracht.
Dennoch leitete der Kläger gegen die Beklagte ein Schlichtungsverfahren ein. Das dort eingeholte Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. Dr. L. vom 17.4.2012 (Anlagenband) bejaht eine absolute OP-Indikation zur Vermeidung einer lebensbedrohlichen Rupturblutung. Weiter stellt das Gutachten zur offenen Aneurysmaausschaltung ein bis zu 60%iges Risiko (an anderer Stelle 40 bis 70 %) nachfolgender Potenzstörungen fest. Dagegen sei die endovaskuläre Methode, wenn sie technisch möglich sei, besonders bei über siebzigjährigen adipösen Patienten mit aktivem Sexualleben besonders günstig. Die anatomische Morphologie der Aorta beim Kläger habe eine endovaskuläre Ausschaltung möglich gemacht. Dies sei aber technisch anspruchsvoll und mit einem hohen Endoleakrisiko behaftet gewesen. Die Wahl habe dennoch auf das offene chirurgische Standardverfahren fallen dürfen. Die Operation selbst sei fachgerecht ohne Anhaltspunkte für einen Behandlungsfehler durchgeführt worden. Das Auftreten postoperativer urogenitaler Störungen spreche nicht für einen chirurgischen Fehler.
Der Kläger hat neben einem fehlerhaften operativen Vorgehen behauptet, nicht über die Risiken der gewählten Behandlungsmethode, insbesondere nicht über das Risiko von Potenz- und Ejakulationsschwierigkeiten aufgeklärt worden zu sein. Vor der Operation sei der Kläger weder inkontinent noch in seinem Sexualleben gestört gewesen. Seit der Operation könne er keinen Geschlechtsverkehr mehr ausüben. Darüber hinaus sei eine Inkontinenz eingetreten. Ursache sei die intraoperative Verletzung von Nerven, eine typische Nebenwirkung des gewählten Operationsverfahrens. Hierüber habe er nach seiner Auffassung detailliert aufgeklärt werden müssen, da es sich um schwerwiegende Komplikationen handele. Bei ordnungsgemäßer Aufklärung, hat der Kläger weiter behauptet, wäre von ihm die andere Behandlungsvariante gewählt worden, der er sowieso eher zugeneigt habe.
Das LG hat den Kläger in der mündlichen Verhandlung vom 28.1.2014 angehört. Der Kläger verneinte dabei ein Aufklärungsgespräch, ihm sei lediglich der Aufklärungsbogen ausgehändigt worden.
Mit Urteil vom 28.2.2014, auf welches wegen der dort getroffenen tatsächlichen Feststellungen im Übrigen Bezug genommen wird, hat das LG die Klage abgewiesen. Gegen diese, seinem Prozessbevollmächtigten am 11.3.2014 zugestellte Entscheidung wendet sich der Kläger mit der am 31.3.2014 eingegangenen und am 15.4.2014 begründeten Berufung.
Das LG stell...