Leitsatz (amtlich)
1. Für ein Aushandeln i.S.v. § 305 Abs. 1 Satz 3 BGB genügt nicht, dass das von einer Vertragspartei gestellte Vertragsformular der anderen Partei bekannt ist und nicht auf Bedenken stößt, sondern der Formularverwender muss sich zumindest deutlich und ernsthaft zu einer Änderung des vorgeschlagenen Textes der einzelnen Vertragsregelung bereit erklärt haben (hier verneint).
2. Die Vorschrift des § 24 Abs. 3 AVBFernwärmeV steht einer Inhaltskontrolle einer hierauf gestützten Preisnebenabrede nicht entgegen; sie konkretisiert vielmehr den Maßstab der Inhaltskontrolle.
3. Die Kopplung einer Preisänderung in einem Fernwärmelieferungsvertrag an die Preisentwicklung für leichtes Heizöl im Bereich der sog. "Rheinschiene" benachteiligt einen Sonderkunden unangemessen, wenn die Energieerzeugung des Fernwärmelieferanten ausschließlich mithilfe von Erdgas erfolgt und zudem die Auswahl des Bezugsindexes willkürlich erscheint.
4. Eine unangemessene Benachteiligung des Sonderkunden ergibt sich auch, wenn die Formulierung der Preisänderungsklausel die Auslegung zulässt, dass der Fernwärmelieferant zwar berechtigt, aber nicht verpflichtet ist, nach gleichmäßigen Maßstäben zu bestimmten Zeitpunkten eine Preisanpassung unabhängig davon vorzunehmen, in welche Richtung sich die Preise im Bezugszeitraum entwickelt haben.
Verfahrensgang
LG Dessau-Roßlau (Urteil vom 29.12.2008; Aktenzeichen 2 O 633/06) |
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das am 29.12.2008 verkündete Urteil des LG Dessau-Roßlau (2 O 633/06) abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung der Beklagten gegen Sicherheitsleistung i.H.v. 10.000 EUR abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird zugelassen.
und beschlossen:
Der Streitwert für den Berufungsrechtszug wird auf 75.256,36 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Die Klägerin verlangt restliche Zahlung für die Lieferung von Fernwärme an die Beklagte für den Zeitraum vom 1.1.2006 bis 31.12.2006.
Die Parteien unterzeichneten am 18.10.2003 bzw. am 6.11.2003 einen Fernwärmeliefervertrag (Bl. 12 - 16 I), der eine frühere Vereinbarung (vom 1.9.1994 - Bl. 182 ff. III) ersetzte. Der Vertrag hat eine Laufzeit bis zum 30.9.2013 (§ 11 Abs. 1). Als höchste Wärmeleistung sind 4.500 KW vereinbart (§ 2 Abs. 2). In § 5 des Vertrages heißt es:
1. Der Kunde zahlt SWZ [= Klägerin] für die gelieferte Wärmemenge einen Wärmepreis. Der Wärmepreis setzt sich zusammen aus
a) einem Wärmegrundpreis
b) einem Wärmearbeitspreis
c) einem Verrechnungspreis und
d) einem Mietpreis für Hausübergabestationen
Die jeweils gültigen Preise sowie die Preisänderungsbestimmungen ergeben sich aus dem als Anlage 1 beigefügten Preisblatt. Zu dem Wärmepreis wird die gesetzliche Umsatzsteuer in der jeweils gültigen Höhe (...) hinzugerechnet.
2. SWZ ist berechtigt, die Preise nach der in Anlage 1 angegebenen Preisänderungsklausel anzupassen. Preisänderungen werden nach Übersendung eines neuen Preisblattes an die Kunden und Angabe des Zeitpunktes der Preisänderung wirksam.
3 ...
Die Parteien streiten im vorliegenden Rechtsstreit vorrangig um die Frage, ob die von der Klägerin vorgenommenen Änderungen des Wärmearbeitspreises wirksam sind. Zur Änderung dieses Wärmearbeitspreises heißt es unter Nr. 3 der Anlage 1 zum Fernwärmeliefervertrag (Bl. 17/18 I):
3. Der Arbeitspreis für die zu verrechnenden Mengen ändert sich entsprechend nachstehender Formel:
WAP = WAP +1,26 × (HEL -31,24) EUR/MWh
Es bedeuten:
WAP = Wärmearbeitspreis in EUR/MWh
WAP = 41,33 in EUR/MWh
HEL = veröffentlichter Heizölpreis in EUR/MWH
(extra leichtes Heizöl gem. Ziff. 4)
31,24 = veröffentlichter Heizölpreis
für das IV: Quartal 2003 in EUR/MWh
Die Anpassung erfolgt vierteljährlich. Preise zzgl. Mehrwertsteuer.
4 ...
5. Der Arbeitspreis gem. Ziff. 3 ändert sich entsprechend der Preisformel mit Wirkung zum 1.1., 1.4., 1.7. und 1.10. eines jeden Jahres. Dabei wird jeweils zugrunde gelegt ...
Bei dem mit HEL bezeichneten Faktor handelt es sich unstreitig um die vom Statistischen Bundesamt, Fachserie 17, R2 monatlich veröffentlichten Erzeugerpreise ausgewählter gewerblicher Produkte (Inlandsabsatz), konkret für leichtes Heizöl bei Lieferung im TKW an Verbraucher, 40-50 hl pro Auftrag. Der Hinweis auf Ziff. 4 (= Fußnote 4 der Veröffentlichung des Statistischen Bundesamtes) meint - ebenfalls unstreitig - die Preise der sog. Rheinschiene (= Durchschnitt aus den Preisen für Düsseldorf, Frankfurt/M. und Mannheim/Ludwigshafen).
Zum Faktor 1,26 hat die Klägerin erläutert (zuletzt: BE S. 3 - Bl. 65 IV - /ebenfalls unstreitig): Der Faktor 1,26 diene zur kostenneutralen Umrechnung eines alternativen Brennstoffpreises (üblicherweise leichtes Heizöl als markbeherrschender Energieträger) in einen erdgasabhängigen Wärmepreis. Die gelieferte Fernwärme werde im Bloc...