Leitsatz (amtlich)
1. Ein Rechtsanwalt ist verpflichtet, seinen Mandanten jeweils im zeitlichen Zusammenhang mit der Übernahme eines Mandates auf eine mögliche Interessenkollision hinzuweisen und vor allem über die rechtliche und praktische Tragweite dieses Umstandes zu belehren. Dieser Verpflichtung unterliegt ein Rechtsanwalt stets auch dann, wenn er keinen persönlichen Kontakt zur Prozesspartei unterhält, sondern die gesamte Kommunikation über einen Verkehrsanwalt erfolgt.
2. Die vom Rechtsanwalt hierbei geschuldeten Sorgfaltsanforderungen werden nach einem objektivierten Maßstab bemessen, so dass es nicht auf die Qualität und Leistungsfähigkeit der verwendeten Anwalts-Software ankommen kann. Wer Software benutzt, hat sicher zu stellen, dass diese den allgemein gültigen beruflichen Sorgfaltsanforderungen entspricht.
3. Unter den Voraussetzungen des § 628 Abs. 1 S. 2 BGB entfällt nur derjenige Teil der Vergütung, der den Gegenwert für eine Tätigkeit des Dienstverpflichteten darstellt, an der der Dienstberechtigte aufgrund der vorzeitigen Kündigung kein Interesse mehr hat. Dies kann im Ausnahmefall allerdings auch die gesamte geschuldete Vergütung sein. Nach der st. Rspr. des BGH und der OLG ist der Begriff des Wegfalls des Interesses nicht abstrakt, sondern in Relation zu den tatsächlichen erneuten Aufwendungen auszulegen, d.h. der Wegfall des Interesses umfasst beim Anwaltsvertrag regelmäßig diejenigen Gebühren, die der Mandant nach der vorzeitigen Kündigung erneut aufwenden muss, z.B. in einem Anwaltsprozess die erneut anfallende Prozess- und Verhandlungsgebühr. Abzustellen ist danach auf den dem Mandanten durch die Mandatsniederlegung tatsächlich entstandenen Mehraufwand.
4. Ein vom Verkehrsanwalt mit der Beklagten vereinbarter Verzicht auf die Erhebung der Verkehrsanwaltsgebühr ist unwirksam, weil er gegen das gesetzliche Verbot der Unterbietung der gesetzlichen Gebühren verstößt, § 134 BGB i.V.m. § 49b Abs. 1 S. 1 BRAO. Der Senat sieht die Verkehrsanwaltsgebühr als eine gerichtliche Gebühr an.
Verfahrensgang
LG Halle (Saale) (Aktenzeichen 4 O 1/01) |
Tenor
Auf die Berufung der Kläger zu 2) und zu 3) wird das am 18.10.2001 verkündete Urteil des LG Halle, Az.: 4 O 1/01, unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Rechtsanwälte S., B. & H. 70.534,25 Euro nebst 4 % Zinsen hieraus seit dem 22.2.2001 zu zahlen; im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Gerichtskosten sowie die außergerichtlichen Kosten der Kläger zu 2) und zu 3) und der Beklagten in beiden Instanzen haben die Kläger zu 2) und zu 3) einerseits und die Beklagte andererseits zu jeweils 50 % zu tragen. Die außergerichtlichen Kosten des Klägers zu 1) trägt dieser selbst.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Zwangsvollstreckung durch die Kläger zu 2) und zu 3) für die Rechtsanwälte S., B. & H. durch Sicherheitsleistung i.H.v. 100.000 Euro abwenden, wenn nicht die Rechtsanwälte S., B. & H. zuvor Sicherheit in gleicher Höhe geleistet haben. Die Kläger zu 2) und zu 3) können die Zwangsvollstreckung durch die Beklagte durch Sicherheitsleistung i.H.v. 5.000 Euro abwenden, wenn nicht zuvor die Beklagte Sicherheit in gleicher Höhe geleistet hat.
Die Revision wird nicht zugelassen. Die Beschwer der Kläger zu 2) und zu 3) sowie diejenige der Beklagten übersteigt jeweils 20.000 Euro.
Tatbestand
Die Kläger zu 2) und zu 3) bildeten gemeinsam mit dem in erster Instanz durch Klagerücknahme aus dem Rechtsstreit ausgeschiedenen Kläger zu 1), Rechtsanwalt S. aus N., eine Anwaltssozietät. Die gemeinsame Sozietät ist zum 31.12.2001 beendet worden; die Auseinandersetzung der früheren gemeinsamen Sozietät (künftig: „Alt-Sozietät”) ist noch nicht abgeschlossen. Die Kläger zu 2) und zu 3) nehmen die Beklagte auf Zahlung von Rechtsanwaltsgebühren für Tätigkeit der „Alt-Sozietät” in Anspruch, hilfsweise auch aus abgetretenem Recht des vormaligen Klägers zu 1).
Die Beklagte verteidigt sich gegen die Honorarforderung vor allem damit, dass sie zu einer Zahlung nicht (mehr) verpflichtet sei, nachdem sie wegen eines pflichtwidrigen schuldhaften Verhaltens der „Alt-Sozietät” den Anwaltsvertrag fristlos gekündigt und dadurch das Interesse an der in Rechnung gestellten Tätigkeit der Kläger gänzlich verloren habe. Dieses vertragswidrige schuldhafte Verhalten sieht die Beklagte im Unterlassen eines Hinweises auf eine mögliche Interessenkollision der Mitglieder der „Alt-Sozietät” als Prozessbevollmächtigte der Beklagten in zwei Berufungsverfahren sowie als Prozessbevollmächtigte eines Gegners der hiesigen Beklagten in einem weiteren, parallel laufenden Berufungsverfahren beim OLG Naumburg.
Dem liegt folgendes zugrunde:
Im Zuge der Privatisierung ehemals volkseigener Betriebe wurde das Braunkohlekombinat B. (VE BKK B.) in die I. in B. umgewandelt. Diese Aktiengesellschaft wurde mit Beschluss vom 23.11.1993 aufgespalten in drei Gesellschaften, nämlich die Mitteldeutsche Braunkohlengesell...