Leitsatz (amtlich)
1. Der Versicherer kann sich nach Treu und Glauben dann nicht auf die Ausschlussfrist nach Ziff. 2.1.1.1 Satz 2 AUB 99 berufen, wenn er nach selbst eingeholten ärztlichen Auskünften eine anspruchsbegründende Invalidität für möglich erachtet und es verabsäumt, den Versicherungsnehmer darauf hinzuweisen, dass sein rechtzeitig eingereichtes ärztliches Attest nicht den Anforderungen einer Invaliditätsfeststellung nach Ziff. 2.1.1.1 AUB 99 entspricht.
2. Gegen die Glaubhaftigkeit einer Unfallschilderung des Versicherungsnehmers kann bereits ein mehrfach wechselhafter Vortrag hierzu sprechen.
3. Ein bedingungsgemäßer Unfall scheidet dann aus, wenn eine pflegebedürftige, umzubettende Person beim Anheben zwar unerwartet den Kopf wegdreht, aber das anschließende gesundheitsschädigende Umgreifen des Versicherungsnehmers nicht unkontrolliert erfolgt, sondern auf einem bewussten Willensentschluss beruht.
Verfahrensgang
LG Halle (Saale) (Urteil vom 12.03.2010; Aktenzeichen 5 O 1208/09) |
Tenor
1. Die Berufung des Klägers gegen das am 12.3.2010 verkündete Urteil des LG Halle, Az.: 5 O 1208/09, wird zurückgewiesen.
2. Die Kosten der Berufungsinstanz trägt der Kläger.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in dieser Höhe leistet.
Gründe
I. Der Kläger macht noch gegen die Beklagte wegen eines behaupteten Invaliditätsgrades von 50 % aus einer privaten Unfallversicherung einen Kapitalbetrag von 25.000,- EUR (zur Berechnung s. S. 6 des Schriftsatzes vom 25.5.2009 unter Punkt 5 = Bl. 70 Bd. I d.A.) als Invaliditätsleistung geltend.
Der Kläger unterhält bei der Beklagten seit November 1990 eine zuletzt mit Versicherungsschein vom 1.7.2003 (Bl. 8 - 12 Bd. I d.A.) dokumentierte private Unfallversicherung, der zum einen Zusatzbedingungen zum Versicherungsschein (Bl. 13/14 Bd. I d.A.) mit vereinbarter progressiver Invaliditätsstaffel und zum anderen die Allgemeinen Unfallversicherungsbedingungen (B. -AUB 1999) zugrunde liegen (Bl. 71 - 74 Bd. I d.A.), in denen es u.a. heißt:
1. Was ist versichert?
1.1 Wir bieten Versicherungsschutz bei Unfällen, die der versicherten Person
während der Wirksamkeit des Vertrages zustoßen.
1.2 Der Versicherungsschutz umfasst Unfälle in der ganzen Welt.
1.3 Ein Unfall liegt vor, wenn die versicherte Person durch ein plötzlich von außen auf ihren Körper wirkendes Ereignis (Unfallereignis) unfreiwillig eine Gesundheitsschädigung erleidet.
1.4 Als Unfall gilt auch, wenn durch eine erhöhte Kraftanstrengung an Gliedmaßen oder Wirbelsäule
- ein Gelenk verrenkt wird oder
- Muskeln, Sehnen, Bänder oder Kapseln gezerrt oder zerrissen werden.
1.5 ...
2.1 Invaliditätsleistung
2.1.1 Voraussetzungen für die Leistung
2.1.1.1 Die versicherte Person ist durch den Unfall auf Dauer in ihrer körperlichen
oder geistigen Leistungsfähigkeit beeinträchtigt (Invalidität).
Die Invalidität ist
festgestellt und von Ihnen bei uns geltend gemacht worden.
2.1.1.2 ...
Der damals 62 Jahre alte Kläger verspürte am 25.8.2007 bei der Pflege seiner bettlägerigen, von ihm seit März 2005 versorgten Mutter einen stark stechenden Schmerz im Rücken, weswegen er sich zwei Tage später zu seiner Hausärztin begab und auf deren Veranlassung am 1.9.2007 eine Magnetresonanztomographie bei dem Leipziger Radiologen Dr. N. durchführen ließ, der u.a. ein Wirbelgleiten in Höhe der Lendenwirbel 4/5 feststellte und unter dem 6.9.2007 (Anlage K 2, Bl. 15/16 Bd. I d.A.) der Hausärztin einen ausführlichen Bericht erstattete.
Mit Schreiben vom 25.7.2008 (Bl. 18 Bd. I d.A.) wandte sich der Kläger erstmals schriftlich an die Beklagte, welche ihm unter dem 6.8.2008 (Bl. 19 Bd. I d.A.) erwiderte, bei den festgestellten Diagnosen handele es sich um ausschließlich degenerative Veränderungen, die keinen Unfall im Sinne der Versicherungsbedingungen darstellten und deshalb keinen Anspruch auf Leistungen begründen könnten. Daraufhin erhob der Kläger mit Schreiben vom 26.8.2008 (Anlage K 15, Bl. 111 Bd. I d.A.) unter Beifügung einer hausärztlichen Bescheinigung vom 20.8.2008 (Anlage K 9, Bl. 30 Bd. I d.A.) Widerspruch gegenüber der Beklagten und bat um erneute Prüfung. Mit Schreiben vom 16.10.2008 (Anlage K 6, Bl. 20 Bd. I d.A.) teilte diese ihm mit, dass sie auch nach erneuter Prüfung des Vorganges durch ihren Medizinischen Dienst weiterhin keine Leistungspflicht sehe.
Nachdem in der Folgezeit die Rückenbeschwerden des Klägers nicht abklangen, begab sich dieser vom 15. bis zum 20.1.2009 in stationäre Behandlung, um den betroffenen Abschnitt der Wirbelsäule operativ versteifen zu lassen.
Der Kläger hat behauptet, am 25.8.2007 einen Unfall mit Invaliditätsfolge erlitten zu haben. Zuvor habe er unter keinerlei Rückenbeschwerden gelitten, und er sei auch stets problemlos in der Lage gewese...