Leitsatz (amtlich)

1. Einer formell und materiell ordnungsgemäßen Dokumentation kann bis zum Beweis des Gegenteils Glauben geschenkt werden. Um die Vollständigkeit der Dokumentation zu erschüttern, müssen konkret erkennbare Anhaltspunkte vorliegen, z.B. das Vorliegen nachträglicher Änderungen oder eine Fertigung erst mit langem zeitlichem Abstand.

2. Der Beweiswert einer ärztlichen Behandlungsdokumentation wird nicht dadurch gemindert, dass ein EDV-Programm verwendet wird, das nicht gegen nachträgliche Veränderbarkeit gesichert ist, wenn der Arzt plausibel darlegen kann, dass seine Eintragung richtig ist und sie aus medizinischen Gründen schlüssig erscheint. Es erscheint nachvollziehbar, dass der Arzt auf ein zwar seltenes, dafür aber mit weitreichenden Folgen für den Patienten verbundenes Risiko hinweist (hier: Wanddurchbruch bei Gastroskopie).

3 Die Beobachtungszeit nach einem Eingriff unter Narkose dient der Kontrolle der Folgen der Sedierung.

 

Verfahrensgang

LG Magdeburg (Urteil vom 06.04.2011; Aktenzeichen 9 O 2415/08)

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das am 6.4.2011 verkündete Urteil des LG Magdeburg (9 O 2415/08) wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung des Beklagten gegen Sicherheitsleistung i.H.v. 6.000,- Euro abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

und beschlossen:

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf die Gebührenstufe bis 65.000,- Euro festgesetzt.

 

Gründe

I. Der Kläger suchte wegen lang anhaltender Oberbauchbeschwerden und Sodbrennen am 3.4.2007 den Beklagten auf. Es wurde die Durchführung einer Gastroskopie vereinbart, die nach einiger Wartezeit noch am selben Tag durchgeführt werden sollte. Der Beklagte behauptet, dass er den Kläger ausreichend über die Risiken des Eingriffs aufgeklärt habe. In der elektronisch geführten Patientenkartei des Beklagten ist dazu u.a. für den 3.4.2007 vermerkt (Bl. 55 I):

... Dennoch besteht ein Restrisiko mit der Möglichkeit eines Wanddurchbruchs ...

Der Kläger bestreitet, über dieses Risiko vor dem Eingriff aufgeklärt worden zu sein. Im Vorfeld des Eingriffs wurde über die Möglichkeit einer Sedierung gesprochen. Diese Möglichkeit lehnte der Kläger vor dem ersten Eingriffsversuch ab. Schon zu Beginn des ersten Eingriffsversuchs kam es zu einer erheblichen Abwehrreaktion des Klägers, so dass die Untersuchung frühzeitig abgebrochen wurde. Der Kläger wurde auf die Notwendigkeit der Kooperation und erneut auf die Möglichkeit einer Sedierung hingewiesen. Da diese Fahruntüchtigkeit zur Folge haben würde, unterrichtete der Kläger zunächst seine Ehefrau, damit diese ihn aus der Praxis abholen könne. Danach willigte der Kläger in einen zweiten Eingriffsversuch ein, wobei jetzt eine Sedierung erfolgte. Das Gerät wurde durch den Rachen in die Speiseröhre eingeführt. Bei der Untersuchung wurde eine Entzündung der Speiseröhre festgestellt. Beim Zurückziehen des Geräts wurde eine Rötung und eine leichte Blutung im entzündeten Bereich der Speiseröhre festgestellt, sowie eine Rötung im Rachenraum. Weitere Feststellungen wurden vom Beklagten zu diesem Zeitpunkt nicht getroffen. Was nach der Untersuchung geschah, ist zwischen den Parteien streitig. Der Kläger behauptet, dass er nach einem Gespräch mit dem Beklagten in Anwesenheit seiner Ehefrau die Praxis nach etwa 20 Minuten verlassen habe. Am 4.4.2007 hat der Beklagte in der Patientenkartei u.a. vermerkt (Bl. 57 I):

... Wir legten Pat. nach der Untersuchung unter Aufsicht einer Schwester noch eine Weile (ca. 90 min) hin,...

Das LG hat zu diesem Punkt die Ehefrau des Klägers angehört (Protokoll vom 3.3.2011 - Bl. 173 I). Während der Beklagte sich in erster Instanz zu diesem Punkt auf seine Patientenkartei berufen hat, hat er mit der Berufungserwiderung die Zeugin B. K. benannt (Bl. 17 II), bei der es sich um die in der Karteieintragung genannte Schwester handelt. Die Parteien streiten weiter darüber, ob der Kläger bei dem Abschlussgespräch mit dem Beklagten über Schmerzen geklagt hat (und falls ja, in welcher Intensität er diese geschildert hat). Auch zu diesem Punkt hat das LG die Ehefrau des Klägers gehört (a.a.O.). Der Beklagte verschrieb ein Halsspray und ein Schmerzmittel. Bereits auf dem Heimweg stellte der Kläger beim Ausspucken Blutbeimengungen fest. In der Folgezeit traten vermehrt Schmerzen auf. Da sich diese nicht besserten und in der Praxis des Beklagten telefonisch niemand erreicht werden konnte, rief die Ehefrau des Klägers am Abend des Untersuchungstages den Notarzt (bzw. eine Bereitschaftsärztin), der/die zunächst ein anderes Schmerzmittel als der Beklagte verordnete und den Kläger am nächsten Morgen, da sich die Beschwerden nicht besserten, in das Kreiskrankenhaus in B. einwies. Nach Durchführung einer CT ergab sich der Verdacht eines Speiseröhrendurchbruchs. Der Kläger wurde in die Hals-/Nasen- Ohrenklinik des Unive...

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