Leitsatz (amtlich)
1. Der Ausgleich für immaterielle Einbußen ist in Fällen, welche aufgrund schwerster Hirnverletzungen durch den Verlust des Bewusstseins und der Empfindungsfähigkeit geprägt sind, in der Weise vorzunehmen, dass gerade der Zerstörung der Persönlichkeit und der Vorenthaltung der Empfindungsfähigkeit angemessen Geltung verschafft wird.
2. Hier: Zuerkennung von 60.000 EUR Schmerzensgeld bei 100%iger Haftung für einen durch einen Verkehrsunfall Geschädigten, der ein apallisches Syndrom erlitt und etwa sechs Monate nach dem Unfall verstarb.
Verfahrensgang
LG Halle (Saale) (Urteil vom 13.06.2014; Aktenzeichen 5 O 647/11) |
Tenor
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das am 13.6.2014 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 5. Zivilkammer des LG H. unter Zurückweisung des weiter gehenden Rechtsmittels abgeändert und wie folgt neu gefasst:
1. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Kläger zur gesamten Hand 46.280,25 EUR nebst Zinsen i.H.v. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 45.000 EUR seit dem 16.6.2011 sowie aus 1.280,25 EUR seit dem 21.10.2010 zu zahlen.
2. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Kläger zur gesamten Hand 105,02 EUR nebst Zinsen i.H.v. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 21.10.2010 zu zahlen.
3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Die Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Kläger zu 42 % und die Beklagten zu 58 %. Die Kosten der I. Instanz werden den Klägern zu 10 % und den Beklagten zu 90 % auferlegt.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagten dürfen die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 120 % des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten. Den Klägern wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 120 % des zu vollstreckenden Betrags abzuwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
A. Die Klägerin zu 1. ist die Ehefrau und der Kläger zu 2. der Sohn des K. D. (im Folgenden: Erblasser). Sie sind ausweislich des gemeinschaftlichen Erbscheins vom 21.3.2011 dessen Erben je zur Hälfte.
Am 16.8.2010 befuhr der - am 28.4.1962 geborene - Erblasser mit dem Pkw Peugeot 306, amtliches Kennzeichen ..., die vorfahrtsberechtigte Bundesstraße ... (im Folgenden: B.) in Richtung G. bzw. H.. Als sich der Erblasser zwischen G. und Gl. der einmündenden K. -Straße näherte, die im Bereich der Einmündung mit einem Stoppschild versehen ist, fuhr der Beklagte zu 1. als Führer eines Lkw-Sattelzuges, amtliches Kennzeichen ..., mit dem Sattelanhänger, amtliches Kennzeichen ..., aus dieser Straße links einbiegend auf die B. in Richtung Gl. bzw. L. auf. Der Erblasser kollidierte mit dem aus seiner Sicht von rechts kommenden Lkw und geriet mit seinem Pkw unter den Auflieger. Der Pkw wurde noch einige Meter vom Lkw mitgeschleift. Die zulässige Höchstgeschwindigkeit auf der B. beträgt im Bereich der Einmündung 70 km/h.
Der Beklagte zu 1. war als Fahrer bei der Kraftverkehr N. GmbH & Co. KG angestellt. Die Beklagte zu 2. ist die Kfz-Haftpflichtversicherung für den unfallbeteiligten Lkw.
Der Erblasser erlitt bei dem Verkehrsunfall folgende Verletzungen: Diffuse Hirnkontusionen rechts, Hygroma durae matris links, Schädeldachfraktur, traumatisches Hirnödem links, epidurale Blutung links, langzeitige Abhängigkeit vom Respirator, Diabetes insipidus, Exophthalmus, Anisokorie, Monokelhämatom, Kalottenfraktur links, Orbitadachfraktur geschlossen, Schädelbasisfraktur.
Der Erblasser wurde in den Berufsgenossenschaftlichen Kliniken B. H. vom 16.8.2010 bis zum 8.2.2011 intensiv-medizinisch behandelt. Im Zeitraum vom 16.08. bis zum 4.10.2010 wurde er achtmal operiert.
Am 12.2.2011 verstarb der Erblasser infolge seiner schweren Verletzungen.
Am Fahrzeug des Erblassers entstand ein Totalschaden i.H.v. 1.370 EUR. Für das Schadensgutachten entstanden Kosten von 312 EUR.
Mit Schreiben vom 5.11.2010 verweigerte die Beklagte die Regulierung des Schadens.
Die Kläger haben vorgetragen, dass der Unfall für den Erblasser trotz eingeleiteter Vollbremsung unvermeidbar gewesen sei. Dieser habe die B. mit einer Geschwindigkeit von 60 km/h befahren. Der Beklagte zu 1. sei erst wenige Meter, bevor der Erblasser den Unfallort erreicht habe, auf die Straße aufgefahren, ohne sich davon überzeugt zu haben, dass die Straße frei sei. Die am Unfallort schnurgerade verlaufende B. sei in beide Richtungen auf einer Strecke von ca. 1 km einzusehen. Ein Schmerzensgeld von mindestens 50.000 EUR sei angemessen. Der Erblasser sei zwischen den Operationen wach gewesen und habe seine Situation erfasst. Als materiellen Schadensersatz könnten sie insgesamt 1.707 EUR beanspruchen (1.370 EUR + 312 EUR + 25 EUR Kostenpauschale).
Die Kläger haben beantragt,
1. die Beklagten gesamtschuldnerisch zu verurteilen, an die Kläger zur gesamten Hand 1.707 EUR zzgl. Zinsen i.H.v. 5 Prozen...