Entscheidungsstichwort (Thema)
Tischlerarbeiten
Leitsatz (amtlich)
1. Ein anderer schwerwiegender Grund für eine Aufhebung der Ausschreibung i.S.v. § 17 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A 2009 kann zwar auch darin liegen, dass ausreichende Haushaltsmittel für den Auftrag nicht zur Verfügung stehen. Hierfür genügt jedoch die objektive Überschreitung der Ansätze der eigenen Kostenschätzung nicht, wenn die Kostenschätzung nicht ordnungsgemäß zustande gekommen ist.
2. In einem Vergabeverfahren darf jeder Bieter grundsätzlich nur ein Hauptangebot abgeben, mehrere gleichzeitig vorliegende Hauptangebote eines Bieters sind grundsätzlich unzulässig. Das gilt jedenfalls dann, wenn ein schutzwürdiges Interesse des Bieters an der Abgabe zweier (oder mehrerer) Hauptangebote nicht vorliegt.
3. Bei der rechtswidrigen Aufhebung einer Ausschreibung wegen einer objektiven Überschreitung des Haushaltsansatzes kommen Schadenersatzansprüche wegen des negativen Interesses für mehrere Bieter in Betracht.
Verfahrensgang
LG Magdeburg (Urteil vom 22.11.2013; Aktenzeichen 7 O 1504/12) |
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung des Beklagten wird das am 22.11.2013 verkündete Urteil der 7. Zivilkammer des LG Magdeburg unter Zurückweisung des Rechtsmittels im Übrigen teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 61,20 EUR nebst Zinsen hierauf i.H.v. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB seit dem 2.9.2012 zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits in beiden Instanzen hat die Klägerin zu tragen.
Das Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Zwangsvollstreckung durch den Beklagten durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe geleistet hat.
Gründe
A. Die Klägerin begehrt vom Beklagten mit ihrer seit dem 1.9.2012 rechtshängigen Klage Schadenersatz in Form entgangenen Gewinns wegen einer vermeintlich rechtswidrigen Aufhebung der Ausschreibung eines öffentlichen Bauauftrags, hilfsweise Ersatz des negativen Interesses.
Im Rahmen des Bauvorhabens "...
...
" mit einem Netto-Auftragswert über fünf Millionen Euro schrieb ein Eigenbetrieb des Beklagten für den Baubereich 4 das Gewerk Tischlerarbeiten (Fenster, Türen, zugehörige Artikel - Sanierung und Austausch) aus; die Ausschreibung wurde EU-weit im Supplement zum Amtsblatt der Europäischen Union vom 23.3.2012 (...) bekannt gemacht. Der Beklagte schätzte den Brutto-Auftragswert nach eigenen - von der Klägerin bestrittenen - Angaben auf 138.248,73 EUR. Die Ausschreibung erfolgte im Offenen Verfahren, als alleiniges Zuschlagskriterium war der niedrigste Angebotspreis vorgesehen. Nebenangebote wurden nicht zugelassen. Die Angebotsfrist lief bis zum 25.4.2012, 13:00 Uhr; die Bieter sollten sich an ihre Angebote bis zum 6.6.2012 binden.
Die Klägerin gab am 24.4.2012 insgesamt zwei Angebote auf elektronischem Wege, jeweils mit elektronischer Signatur, ab, und zwar um 09:11 Uhr ein Angebot mit einer Angebotsendsumme i.H.v. 268.201,96 EUR (künftig: Angebot 1) und um 11:02 Uhr ein weiteres Angebot mit einer Angebotsendsumme i.H.v. 268.580,38 EUR (künftig: Angebot 2). Beide Angebote wiesen weitgehend identische Preisangaben in den einzelnen Leistungspositionen auf, lediglich in zwei Positionen, deren Gegenstand jeweils die Überarbeitung historischer, einflügliger Innentüren war (Pos. 1.1.1930 "... mit drei Kassetten", Pos. 1.1.1950 "... mit sechs Kassetten"), wurden die Einheitspreise gewechselt, was - wegen der unterschiedlichen Mengengerüste (Pos. 1.1.1930 "3 St.", Pos. 1.1.1950 "6 St.") - zu der Preisdifferenz i.H.v. 378,42 EUR führte. Beide Angebote enthielten in dem jeweiligen Angebotsschreiben auf Formblatt 213 des VHB Bund (Stand: Mai 2010) die Erklärung, dass die Klägerin alle Leistungen im eigenen Betrieb ausführe, soweit sie nicht auf Formblatt 235 - Verzeichnis der Nachunternehmerleistungen - abweichende Angaben mache. Das Formblatt 235 lag beiden Angeboten jeweils unausgefüllt bei. Bei beiden Angeboten fehlten u.a. die geforderten Eigen- und Fremderklärungen über Referenzleistungen der Klägerin; Eignungserklärungen oder -nachweise für bzw. Verpflichtungserklärungen von Nachunternehmern lagen nicht bei. Die Klägerin reichte für beide Angebote das geforderte Formblatt 221 (Preisermittlung Zuschlagskalkulation) ein, welches für das Angebot 1 keine Eintragung zu Nachunternehmerleistungen enthielt, während für das Angebot 2 unter Ziff. 2 auch relative (prozentuale) Zuschläge auf Nachunternehmerleistungen angegeben waren und unter Ziff. 3, dort Kostenfaktor 3.5, kalkulierte Nachunternehmerleistungen im Wert von 97.775,50 EUR angegeben waren.
Bei Eröffnung der Angebote lagen Hauptangebote von drei Bietern vor. Der Beklagte nahm von der Klägerin lediglich das Angebot 2 in das Submissionsprotokoll auf. Dieses Angebot war das preisgünstig...