Leitsatz (amtlich)
Die Regel "rechts vor links" (§ 8 StVO) gilt nicht für den Verkehrsteilnehmer, der von einer lediglich der Zufahrt auf Parkplätze oder Parkplatzbereiche dienenden Straße eines Einkaufszentrums auf eine an diese angrenzende oder diese durchquerende Durchgangs- oder Umlaufstraße auffahren möchte.
Verfahrensgang
LG Halle (Saale) (Urteil vom 10.03.2006; Aktenzeichen 5 O 307/05) |
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des LG Halle vom 10.3.2006 abgeändert und zur Klarstellung insgesamt wie folgt neu gefasst:
Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin 4.467,03 EUR nebst Zinsen von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 4.467,03 EUR seit dem 28.5.2005, zzgl. 229,04 EUR vorgerichtliche Anwaltskosten nebst Zinsen von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus 229,40 EUR seit dem 28.5.2005 zu zahlen.
Die Anschlussberufung der Beklagten wird zurückgewiesen.
Die Kosten des ersten Rechtszuges tragen die Klägerin zu 28 % und die Beklagten zu 72 %.
Die Kosten des Berufungsrechtszuges tragen die Beklagten.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die jeweilige Beschwer der Klägerin und der Beklagten übersteigt 20.000 EUR nicht.
Gründe
I. Die Klägerin macht gegen die Beklagten Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall geltend.
Die Klägerin befuhr mit ihrem Pkw Opel Signum, amtl. Kennzeichen ... am 17.5.2005 eine Durchgangsstraße des Parkplatzes Einkaufszentrum L., welche von der dortigen Bundesstraße abzweigt und am Ende wieder auf die Bundesstraße stößt. Die Beklagte zu 1) befuhr mit ihrem Pkw VW, amtliches Kennzeichen ..., welcher bei der Beklagten zu 2) versichert ist, eine Fahrgasse des Parkplatzgeländes in Richtung der Durchgangsstraße. Die Beklagte zu 1) beabsichtigte, in diese Durchgangsstraße nach links abzubiegen und fuhr, nachdem sie sich zuvor davon überzeugt hatte, dass von rechts kein anderer Verkehrsteilnehmer kam, in die Straße ein, wobei es zur Kollision mit dem von links kommenden Pkw der Klägerin kam.
Die von der Klägerin befahrene Straße weist jeweils eine Fahrspur in jede Fahrtrichtung, getrennt durch eine unterbrochene weiße Mittellinie, auf. Jeweils links und rechts gehen einzelne Zufahrten - gekennzeichnet durch Parkplatzabschnittsbezeichnungen - zu den Parkplätzen ab, an diesen Zufahrten befinden sich jeweils quer links und rechts die Parkbuchten. Zwischen den Zufahrten wird die Durchgangsstraße gesäumt von kleinen Bordsteinen und etwa oberschenkel- bis hüfthohen Hecken. Beide Fahrbahnen weisen denselben Belag und dieselbe Höhe auf. Die Durchfahrtsstraße führt direkt auf eine am Einkaufszentrum vorbeiführende Bundesstraße, über die man zur Autobahn gelangt. Zur genauen Verkehrssituation vor Ort wird auf die Lichtbilder Bl. 40 und Bl. 49 - 54 d.A. verwiesen.
Die Beklagte zu 2) lehnte vorgerichtlich die Begleichung des von der Klägerin geltend gemachten Schadens i.H.v. insgesamt 5.946,04 EUR mit Schreiben vom 27.5.2005 ab.
Die Klägerin hat die Ansicht vertreten, die Beklagte zu 1) habe die auf der Durchgangsstraße bestehende Vorfahrt missachtet, da es sich bei der von dieser befahrenen Straße um einen sog. "anderen Straßenteil" i.S.d. § 10 StVO handele bzw. um eine untergeordnete Fläche des Parkplatzes bzw. einen verkehrsberuhigten Bereich.
Dieser habe lediglich Zufahrtscharakter, hingegen weise die von ihr befahrene Fahrbahn Straßencharakter auf. Dies ergebe sich bereits daraus, dass hier eine Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h gelte, während für den übrigen Parkplatz Schrittgeschwindigkeit vorgeschrieben sei.
Sie hat beantragt, die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin 5.956,04 EUR zu zahlen, nebst Zinsen von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 5.956,04 EUR seit dem 28.5.2005, zzgl. 278,05 EUR vorgerichtliche Anwaltskosten nebst Zinsen von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus 278,05 EUR seit dem 28.5.2005.
Die Beklagten haben beantragt, die Klage abzuweisen.
Die Beklagten haben die Ansicht vertreten, die Klägerin habe die Vorfahrtregeln des § 8 StVO verletzt. Bei der von der Beklagten zu 1) befahrenen Straße handele es sich um eine Einmündung, so dass mangels ausdrücklicher Vorfahrtregelung die Regel "rechts vor links" gegolten habe.
Das LG hat den Klageanspruch zu 50 % für begründet erachtet und im Übrigen die Klage abgewiesen. Im Tenor hat es allerdings in der Hauptsache 2.628,02 EUR und nicht 50 %, also 2.978,02 EUR zugesprochen. Von den Rechtsanwaltskosten hat das LG 139,03 EUR zugesprochen. Die Klägerin könne von den Beklagten als Gesamtschuldner lediglich Ersatz von 50 % des materiellen Schadens gem. §§ 7 Abs. 1, 18 Abs. 1 StVG, 3 PflVG verlangen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass vorliegend § 8 StVO nicht greife, sondern § 10 StVO, da nur die von der Klägerin benutzte Fahrspur als Straße gewertet werden könne. Bei der von der Beklagten zu 1) befahrenen Fahrspur handele es sich ersichtlich um eine Fahrspur des Parkplatzes. Dies ergebe sich bereits daraus, dass diese unmittelbar zu den Park...