Leitsatz (amtlich)

Einem Bieter kann aus culpa in contrahendo ein Anspruch auf Erstattung der Kosten zustehen, wenn er sich ohne Vertrauen auf die Rechtmäßigkeit des Vergabeverfahrens nicht oder nicht wie geschehen an diesem beteiligt hätte. Die Darlegungs- und Beweislast dafür trägt der Bieter. Dazu ist erforderlich, dass er auf einen erkannten Vergabemangel mit einer entsprechenden Rüge in einem Vergabenachprüfungsverfahren reagiert.

 

Verfahrensgang

LG Magdeburg (Urteil vom 02.06.2010; Aktenzeichen 36 O 25/10)

 

Nachgehend

BGH (Urteil vom 09.06.2011; Aktenzeichen X ZR 143/10)

 

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird das am 2.6.2010 verkündete Urteil des LG Magdeburg (36 O 25/10) abgeändert:

Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 11.649,86 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5-Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 23.2.2010 zu zahlen.

Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird zugelassen.

und beschlossen:

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 11.649,86 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Die Beklagte schrieb im offenen Verfahren einen Dienstleistungsauftrag "Durchführung des Rettungsdienstes im Landkreis M. " aus. Der Vertrag sollte eine Laufzeit vom 1.7.2009 bis 30.6.2015 haben. Unter IV. 2.1) der Bekanntmachung (Zuschlagskriterien) heißt es:

Wirtschaftlich günstigstes Angebot in Bezug auf die nachstehenden Kriterien:

1. Preis. Gewichtung 40.

2. Mitarbeit bei Großschadenslagen und Massenanfall von Verletzten. Gewichtung 35.

3. Erfahrung im Rettungsdienst. Gewichtung 10.

4. Qualitätsmanagement. Gewichtung 5.

5. Qualifikation des Personals. Gewichtung 5.

6. Arbeitszeit des Personals. Gewichtung 5.

Die Klägerin forderte die Verdingungsunterlagen an, die ihr Ende Juni 2008 vorlagen. Mit Datum vom 7.7.2008 (Anlage K 4 Anlagenband) richtete die Klägerin ein Schreiben an ihren jetzigen Prozessbevollmächtigten, in dem es heißt:

Sehr geehrter Herr Dr. B.,

Wie bereits telefonisch besprochen, sende ich Ihnen die Unterlagen zu dem Auswahlverfahren M.

Mit der Bitte um Überprüfung

Die Klägerin rügte mit Schreiben vom 10.7.2008 Mängel des Vergabeverfahrens. In dem Schreiben (S. 2) heißt es u.a.:

a) In dem Bewertungsschema werden Eignungs- und Bewertungskriterien in unzulässiger Weise miteinander vermischt ...

Einen ersten Nachprüfungsantrag vom 16.7.2008 hat sie zurückgenommen. Mit Datum vom 3.9.2008 hat die Klägerin ein Angebot für Los 1 abgegeben. Zu diesem Zeitpunkt war die Angebotsfrist abgelaufen. Nachdem die Beklagte mitgeteilt hatte, den Zuschlag an ein anderes Unternehmen zu vergeben, hat die Klägerin erneut einen Nachprüfungsantrag gestellt. Mit Beschluss des Vergabesenats vom 3.9.2009 (1 Verg 4/09 [VergabeR 2009, 933]) wurde die Beklagte verpflichtet, das bisherige Vergabeverfahren aufzuheben. Zur Begründung wird in dem Beschluss im Wesentlichen darauf abgestellt, dass unter IV. 2.1) der Bekanntmachung in unzulässiger Weise Eignungs- und Wirtschaftlichkeitskriterien mit einander vermischt worden seien. Bei der Frage, ob der Nachprüfungsantrag der Klägerin überhaupt zulässig war, hat der Vergabesenat (Beschluss unter 1.4.1. lit. a)) ausgeführt, dass die Klägerin als Bieterin anzusehen sei. Dafür sei es unerheblich (lit. c)), dass das Angebot erst nach Ablauf der Angebotsfrist eingereicht worden sei. Der Vergabesenat ist vor diesem Hintergrund zu dem Ergebnis gelangt, dass der Klägerin der vergaberechtliche Primärrechtsschutz noch zustehe. Der Vergabesenat hat den Kostenwert für das Beschwerdeverfahren auf die Gebührenstufe bis 800.000 EUR festgesetzt.

Mit Schreiben vom 7.9.2009 (Anlage K 32 Anlagenband) machte die Klägerin ggü. der Beklagten Ersatz von Rechtsanwaltskosten geltend. In dem Schreiben heißt es u.a.:

Wie Sie wissen, hat uns unsere Mandantin im Verfahren vor Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens mandatiert und wir haben Rügen erhoben ...

Verlangt wird eine 2,3 Gebühr nach Nr. 2300 VV-RVG ausgehend von einem Gegenstandswert von 800.000 EUR (= 10.687,15 EUR). Mit Schreiben vom 22.9.2009 (Anlage K 34 Anlagenband) hat der Kommunale Schadensausgleich für die Beklagte den Ausgleich der Rechnung abgelehnt.

Mit der vorliegenden Klage verlangt die Klägerin neben dem genannten Betrag von 10.687,15 EUR einen weiteren Betrag von 962,71 EUR für die Geltendmachung des Schadensersatzanspruchs ggü. der Beklagten (Berechnung Klageschrift S. 11 - Bl. 11 I). Zur Begründung des Schadensersatzanspruchs hat die Klägerin in erster Instanz vorgetragen, dass ihr ein Anspruch sowohl gem. § 126 GWB als auch aus dem Gesichtspunkt einer culpa in contrahendo (§§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 2, 242 Abs. 2 BGB) zustehe. Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten.

Wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Vorbringens der Parteien und der in erster Instanz gestellten Anträge wird Bezug genommen auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil (Bl. 102 - 106 I).

Mit dem angefochtenen Urteil hat das LG die Klage insgesamt abgewiesen und zur Begründung ausgeführt: ...

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