Leitsatz (amtlich)
1. Die Bindungswirkung eines bestandskräftigen Bußgeldbescheides der Europäische Kommission wegen eines Kartellrechtsverstoßes erfasst alle im kartellbehördlichen Verfahren getroffenen tatsächlichen Feststellungen, welche den Lebenssachverhalt bilden, bezüglich dessen ein Kartellrechtsverstoß festgestellt wurde, und die seine rechtliche Einordnung als Verstoß tragen.
2. Die objektive Eignung des von der Kommission im Bescheid vom 19.07.2016 festgestellten Kartellverstoßes auf dem EU-weiten Markt für mittelschwere und schwere Lastkraftwagen, einen Vermögensschaden eines Erwerbers solcher Fahrzeuge zu begründen (sog. Kartellbetroffenheit) besteht grundsätzlich auch für einen mittelbaren Erwerber, also einen Leasingnehmer oder Mietkäufer.
3. Zur Zulässigkeit des Erlasses eines Teil- und Grundurteils.
Verfahrensgang
LG Magdeburg (Urteil vom 08.01.2020; Aktenzeichen 7 O 302/18) |
Nachgehend
Tenor
I. Auf die Berufung der Klägerin wird das am 8. Januar 2020 verkündete Urteil der 7. Zivilkammer des Landgerichts Magdeburg teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Die Klage ist bezüglich der Erwerbsvorgänge zu lfd. Nr. 1 bis 10 und 12 der Aufstellung der Klägerin dem Grunde nach gerechtfertigt.
Bezüglich des Erwerbsvorgangs zu lfd. Nr. 11 der Aufstellung der Klägerin wird die Klage abgewiesen.
II. Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens bleibt dem Schlussurteil vorbehalten.
III. Die Revision wird zugelassen.
und beschlossen:
Der Kostenwert des Berufungsverfahrens wird auf 51.683,51 festgesetzt.
Gründe
A. Die Klägerin begehrt von der Beklagten den Ersatz ihres kartellbedingten Schadens im Zusammenhang mit dem Erwerb mehrerer Lastkraftwagen (Lkw).
Die Klägerin ist ein mittelständisches Unternehmen, welches im Bereich des Baustoffhandels tätig ist. Sie firmierte bis zu ihrer Umwandlung in eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung durch den Gesellschaftsvertrag vom 28.05.2009 als Aktiengesellschaft gleichen Namens (vgl. HRB ... Amtsgericht Stendal). Die Beklagte ist eine der führenden Herstellerinnen von Nutzfahrzeugen in Europa, insbesondere von Lkw. Die Streithelferinnen auf Seiten der Beklagten (künftig: Streithelferinnen) sind Unternehmen eines Konzerns und repräsentieren eine weitere Herstellerin von Lkw in Europa.
Mindestens seit dem 17.01.1997 bildeten mehrere Herstellerinnen von Lkw, darunter die Beklagte und deren Streithelferinnen, ein Kartell betreffend mittelschwere Lkw (d.s. Lkw von über 6 bis 16 t) und schwere Lkw (d.s. Lkw mit mehr als 16 t) im gesamten Europäischen Wirtschaftsraum (EWR).
Die Streithelferinnen der Beklagten traten am 20.09.2010 an die Europäische Kommission (KOM) mit einer Anzeige des Kartells zur Inanspruchnahme der Kronzeugenregelung heran. Die KOM führte ab dem 18.01.2011 Ermittlungsmaßnahmen bei den Kartellanten, darunter bei der Beklagten, durch. Das förmlich mit einem Beschluss der KOM vom 20.11.2014 eingeleitete Kartellbußgeldverfahren wurde im Wege des Vergleichs (sog. "Settlement)" abgeschlossen; u.a. akzeptierte die Beklagte die Verpflichtung zur Zahlung eines Bußgeldes in Höhe von ... EUR. Die KOM erließ am 19.07.2016 gegen die Kartellanten einen Bußgeldbescheid, welcher der Beklagten am 21.07.2016 zugestellt wurde. Wegen der Einzelheiten der Feststellungen der KOM wird auf den Inhalt des Bescheides vom 19.07.2016 (Case AT.39824 - Trucks, vgl. auch Zusammenfassung in: ABl. EU v. 06.04.2017, C 108/6) Bezug genommen.
Die Klägerin hat mit ihrer am 28.02.2018 vorab per Fax beim Landgericht eingegangenen und der Beklagten am 13.04.2018 zugestellten Klage zunächst die Feststellung der Einstandspflicht der Beklagten begehrt und diese Klage mit ihrem Schriftsatz vom 20.11.2018 auf Leistungsanträge umgestellt; die geänderten Klageanträge hat sie in der Sitzung vom 02.10.2019 gestellt.
Die Klägerin hat behauptet, dass sie im Zeitraum vom 18.10.2004 bis zum 02.09.2011 drei schwere und einen mittelschweren Lkw der Beklagten sowie acht schwere Lkw der Streithelferinnen jeweils im Wege des Leasings bzw. des Mietkaufs erworben habe; sie habe sämtliche Fahrzeuge auch endgültig übernommen. Sie hat geltend gemacht, dass sie aufgrund des Kartells überhöhte Preise für die zwölf Lkw habe zahlen müssen. Sie hat weiter unter Bezugnahme auf ein Privatgutachten der H. vom 08.03.2019 (vgl. Anlage K13, künftig: PGA H.) behauptet, dass ihr dadurch ein Schaden in Höhe von 51.683,51 EUR entstanden sei.
Die Klägerin hat zuletzt beantragt, die Beklagte zu einer Zahlung in Höhe von 51.683,51 EUR nebst Zinsen in unterschiedlicher Höhe für diverse Teilbeträge und für unterschiedliche Zeiträume sowie wegen vorgerichtlicher Rechtsverfolgungskosten zu einer weiteren Zahlung in Höhe von 2.376,00 EUR zu verurteilen; wegen der Einzelheiten der Zinsstaffel wird auf den Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils Bezug genommen.
Die Beklagte und deren Streithelferinnen haben jeweils die Abweisung der Klage beantragt.
Das Landgericht Magdeburg hat m...