Verfahrensgang
LG Regensburg (Beschluss vom 18.12.1998) |
Tenor
I. Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluß des Landgerichts Regensburg vom 18. Dezember 1998 aufgehoben.
II. Der Antragstellerin wird für eine Klage auf Herausgabe des Vollstreckungsbescheids des Amtsgerichts Regensburg vom 07.08.1991 Prozeßkostenhilfe bewilligt und … als Prozeßbevollmächtigter beigeordnet.
Tatbestand
I.
Die Antragstellerin begehrt Prozeßkostenhilfe für eine Klage mit dem Ziel der Feststellung der Nichtigkeit einer Bürgschaftsvereinbarung vom 28. Februar 1986. Das Landgericht Regensburg hat den Antrag mit Beschluß vom 18. Dezember 1998 wegen mangelnder Erfolgsaussichten zurückgewiesen, weil die Antragstellerin durch rechtskräftigen Vollstreckungsbescheid vom 7. August 1991 zur Zahlung der Bürgschaftsschuld verurteilt worden war.
Entscheidungsgründe
II.
Die Beschwerde der Antragstellerin ist begründet. Die beabsichtigte Rechtsverfolgung hat hinreichende Erfolgsaussichten und erscheint nicht mutwillig (§ 114 ZPO).
1.
Der Umstand, daß die Antragstellerin durch Vollstreckungsbescheid zur Zahlung der Bürgschaftsschuld verurteilt worden ist, steht einer Klage aus § 826 BGB mit der Begründung, die Zwangsvollstreckung führe zu einer sittenwidrigen Schädigung und müsse deshalb unterbleiben, nicht von vornherein entgegen. Es ist vielmehr allgemein anerkannt, daß eine Durchbrechung der Rechtskraft auf § 826 BGB gestützt werden kann (Palandt/Thomas, BGB, 58. Aufl., § 826, Rdn. 46). Prozessual ist der Klageantrag allerdings auf Herausgabe des Titels bzw. auf Unterlassung der Zwangsvollstreckung zu richten.
2.
Die Zwangsvollstreckung aus einem bestehenden Titel verstößt gegen § 826 BGB, wenn der Vollstreckungstitel objektiv unrichtig ist, der Gläubiger dies weiß und weitere Umstände hinzutreten, die eine Ausnutzung des Titels in hohem Maße unbillig und geradezu unerträglich erscheinen lassen. Umstände, auf denen die materielle Unrichtigkeit des Titels beruht, genügen zwar allein in der Regel nicht, um zugleich auch die Sittenwidrigkeit der Vollstreckung zu begründen (OLG Köln, WM 1997, 1095).
Die Antragstellerin hat aber -von der Antragsgegnerin unwidersprochen- Gründe vorgetragen, aus denen sich die Sittenwidrigkeit der Vollstreckung ergibt. Sie hatte eine selbstschuldnerische Bürgschaft ohne zeitliche und betragsmäßige Beschränkung zur Sicherung aller bestehenden, künftigen bedingten und befristeten Forderungen der Antragsgegnerin gegen die Hauptschuldnerin, die Fa. S. Inhaberin B., übernommen. Nach ihrer Darstellung war sie an diesem Unternehmen weder rechtlich noch wirtschaftlich beteiligt. Es handelte sich um den Gewerbebetrieb ihrer Schwiegermutter. Zum Zeitpunkt des Abschlusses der Bürgschaft war die Antragstellerin Hausfrau. Sie bezieht jetzt eine Rente in Höhe von 700,00 DM, ihr Ehemann eine solche von 2.070,00 DM.
a)
Die Unrichtigkeit des Vollstreckungsbescheids bestimmt sich zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung im Verfahren nach § 826 BGB und nach der Auffassung des über die Voraussetzungen dieser Norm erkennenden Gerichts. Hinsichtlich der Kenntnis des Titelgläubigers von der Unrichtigkeit des Titels genügt es, wenn ihm diese durch das über § 826 BGB erkennende Gericht vermittelt wird (Staudinger/Oechsler, BGB, 13. Bearbeitung, § 826, Rdn. 529 f.).
b)
Nach der im wesentlichen durch den Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 19. Oktober 1993 (BVerfGE 89, 214) geprägten neueren Rechtsprechung kann, auch unabhängig von einer verwerflichen Einflußnahme des Kreditinstituts auf den Bürgen – die Antragstellerin hat hierzu nichts vorgetragen – eine Bürgschaft sittenwidrig und deshalb nichtig sein, wenn der Bürge finanziell kraß überfordert wird, er aus emotionaler Verbundenheit zum Hauptschuldner handelt und aus der Sicht eines vernünftig denkenden Gläubigers der Bürgschaftsvertrag wirtschaftlich sinnlos ist (BGHZ 125, 205; BGHZ 132, 328; BGH, WM 1997, 2117; BGH, WM 1998, 239).
Da die Bürgschaftsforderung zum Zeitpunkt der Fälligstellung am 28. Februar 1991 141.977,19 DM betrug, war die Antragstellerin in ihrer Leistungsfähigkeit kraß überfordert. Da die Antragstellerin als Hausfrau kein eigenes Einkommen hatte, war die Bürgschaft unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten für die Antragsgegnerin sinnlos. Es ist auch davon auszugehen, daß die Antragstellerin aus emotionalen Gründen die Bürgschaftserklärung unterschrieben hat, da ihr Ehemann in dem Unternehmen seiner Mutter arbeitete, für dessen Schulden sich die Antragstellerin verbürgte.
c)
Besonderheiten, die es rechtfertigen, die Vollstreckung aus dem Vollstreckungsbescheid vom 7. August 1991 als sittenwidrig zu beurteilen, liegen darin, daß infolge der Geltendmachung des Zahlungsanspruchs im Mahnverfahren eine richterliche Kontrolle des ungewöhnlich belastenden und als Interessenausgleich offensichtlich unangemessenen Vertrages nicht stattgefunden hat. Die grundrechtliche Problematik der Gewährleistung der Privatautonomie ist im vorliegenden Fall weder gerichtlich gesehen ...