Leitsatz (amtlich)

1. Der Begriff des rechtlichen Interesses i.S.d. § 485 Abs. 2 ZPO ist weit zu fassen. Bei einem von dem Versicherungsnehmer einer privaten Unfallversicherung gestellten Antrag auf ein selbständiges Beweisverfahren ist es grundsätzlich auch dann gegeben, wenn der Versicherer geltend macht, ein Versicherungsfall liege nicht vor oder die bedingungsgemäße Frist zur ärztlichen Invaliditätsfeststellung sei nicht eingehalten.

2. Der Grad der Invalidität des Versicherungsnehmers gehört zum Zustand einer Person i.S.d. § 485 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO.

 

Normenkette

ZPO § 485 Abs. 2

 

Verfahrensgang

LG Nürnberg-Fürth (Beschluss vom 02.07.2014; Aktenzeichen 11 OH 1112/14)

 

Tenor

I. Auf die sofortige Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des LG Nürnberg-Fürth vom 2.7.2014 - 11 OH 1112/14, aufgehoben.

II. Es ist ein schriftliches medizinisches Sachverständigengutachten zu erholen zur Behauptung des Antragstellers, dass die am 23.7.2012 diagnostizierte Neuroborreliose auf eine drei Wochen alte Infektion zurückzuführen ist, sowie zu folgenden Fragen des Antragstellers:

Sind die Facialisparese links, allgemeine Kraftlosigkeit und Wetterfühligkeit mit Stimmungsschwankungen beim Antragsteller auf die Neuroborreliose zurückzuführen?

Hat die Erkrankung ein chronisches Stadium erreicht?

Wie hoch ist der Grad der unfallbedingten Invalidität?

III. Die weiteren erforderlichen Anordnungen werden der 11. Zivilkammer des LG Nürnberg-Fürth übertragen.

 

Gründe

I. Der Antragsteller unterhält bei der Beklagten eine Unfallversicherung, bei der ab 16.3.2009 auch eine Borreliose-Infektion in Folge Zeckenbiss (Ziff. 5.2.4.2 der AUB 2008) versichert war. Mit Schadensmeldung vom 14.8.2012 meldete er das Vorliegen einer Borreliose in Folge eines Zeckenbisses als Schaden an. Nach Ablehnung eines Abfindungsangebots verfolgte der Antragsteller seinen Leistungsantrag weiter. Die Antragsgegnerin lehnte nach Erholung eines neurologischen Gutachtens Leistungen ab.

Mit Schriftsatz seiner Prozessbevollmächtigten vom 13.2.2014, ergänzt mit Schriftsatz vom 30.6.2014, beantragte der Antragsteller im Rahmen eines selbständigen Beweisverfahrens die Erholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens. Das Gutachten soll sich zur Behauptung äußern, die am 23.7.2012 diagnostizierte Neuroborreliose gehe auf eine drei Wochen alte Infektion zurück sowie zur Frage, ob eine Facialisparese links, allgemeine Kraftlosigkeit und Wetterfühligkeit mit Stimmungsschwankungen auf die Neuroborreliose zurückzuführen sind, die Erkrankung ein chronisches Stadium erreicht habe und wie hoch der Grad der unfallbedingten Invalidität ist.

Die Antragsgegnerin beantragte mit Schriftsatz ihrer Prozessbevollmächtigten vom 25.4.2014, den Antrag zurückzuweisen. Sie stimmt dem selbständigen Beweisverfahren nicht zu und meint, dass das Verfahren nicht der Vermeidung eines Rechtsstreits dient. Sie hält den Antrag für unschlüssig, da eine vorvertragliche Infektion nicht ausgeschlossen werden könne, eine ausreichende, fristgerechte Invaliditätsfeststellung fehle und auch ein Zeckenstich als Ursache der geltend gemachten Borreliose bestritten werde. Auch würden Umstände für eine mindestens 50%ige Invalidität als Voraussetzung der begehrten Rente nicht vorgetragen.

Das LG hat den Antrag auf Durchführung des selbständigen Beweisverfahrens mit Beschluss vom 2.7.2014 zurückgewiesen.

Gegen diesen, seinen Prozessbevollmächtigten am 9.7.2014 zugestellten Beschluss hat der Antragsteller mit Schriftsatz seiner Prozessbevollmächtigten vom 21.7.2014, beim LG eingegangen am 22.7.2014, sofortige Beschwerde eingelegt und diese mit Schriftsatz vom 15.9.2014 begründet.

Die Antragsgegnerin hat mit Schriftsatz ihrer Prozessbevollmächtigten vom 1.8.2014 die Zurückweisung der sofortigen Beschwerde beantragt.

Das LG hat der sofortigen Beschwerde mit Beschluss vom 19.9.2014 nicht abgeholfen.

II. Die zulässige (§§ 490 Abs. 1, 567 Abs. 1 Nr. 2, 569 Abs. 1 u. 2 ZPO) sofortige Beschwerde hat in der Sache Erfolg. Daher war der Beschluss des LG Nürnberg-Fürth vom 2.7.2014 aufzuheben und die Erholung des beantragten Sachverständigengutachtens anzuordnen. Die Übertragung der weiteren erforderlichen Anordnungen auf das LG Nürnberg-Fürth beruht auf § 572 Abs. 3 ZPO.

1. Nach § 485 Abs. 2 ZPO kann eine Partei die schriftliche Begutachtung durch einen Sachverständigen beantragen, wenn sie ein rechtliches Interesse u.a. daran hat, dass der Zustand einer Person und die Ursache eines Personenschadens festgestellt wird, wobei ein rechtliches Interesse nach Satz 2 dieser Vorschrift anzunehmen ist, wenn die begehrte Feststellung der Vermeidung eines Rechtsstreits dienen kann.

Der Begriff des "rechtlichen Interesses" ist weit zu fassen. Insbesondere ist es dem Gericht grundsätzlich verwehrt, bereits im Rahmen des selbständigen Beweisverfahrens eine Schlüssigkeits- oder Erheblichkeitsprüfung vorzunehmen. Dementsprechend kann ein rechtliches Interesse nur dann verneint werden, wenn ein Rechtsverhältnis, ein möglicher Prozessgegner...

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