Leitsatz (amtlich)
Damit ein der deutschen Sprache nicht hinreichend mächtiger Angeklagter bei einer öffentlichen Zustellung Kenntnis davon erlangen kann, dass ihm eine Ladung zu einem Termin zugestellt werden soll, er das zuzustellende Schriftstück einsehen kann und ihm bei unentschuldigtem Fernbleiben zum Termin Rechtsnachteile drohen, also auch ein Haftbefehl ergehen kann, muss die Benachrichtigung gemäß §§ 40 Abs. 1, 37 Abs. 1 StPO, § 186 Abs. 2 Satz 5 ZPO sowohl in deutscher wie in der dem Angeklagten verständlichen Sprache an der Gerichtstafel ausgehängt werden.
Normenkette
StPO § 40 Abs. 1, § 37 Abs. 1, § 230 Abs. 2; ZPO § 186 Abs. 2
Verfahrensgang
LG Nürnberg-Fürth (Entscheidung vom 27.05.2021; Aktenzeichen 7 KLs 359 Js 25243/16 (2)) |
Tenor
- Auf die Beschwerde des Angeklagten wird der Haftbefehl des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 27.05.2021 aufgehoben.
- Die Staatskasse hat die Kosten des Beschwerdeverfahren und die dem Angeklagten insoweit entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Gründe
I.
Der Angeklagte K wurde durch Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 22.02.2018 wegen bandenmäßigen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren sechs Monaten verurteilt. Im Übrigen wurde er freigesprochen. Zudem erließ die 1. Strafkammer des Landgerichts Nürnberg-Fürth am 22.02.2018 gegen den Beschwerdeführer einen an den verurteilten Sachverhalt angepassten Haftbefehl.
Mit Beschluss vom 28.09.2018 hob das Oberlandesgericht Nürnberg diesen Haftbefehl auf die Beschwerde des Angeklagten wegen eines Verstoßes gegen das Beschleunigungsgebot in Haftsachen auf.
Mit Beschluss vom 10.10.2019 hat der Bundesgerichtshof auf Revision des Beschwerdeführers das genannte Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth im Strafausspruch und im Ausspruch über die Dauer des Vorwegvollzugs aufgehoben, soweit der Angeklagte verurteilt wurde. Die weitergehende Revision wurde verworfen.
Nach Ermittlung der ladungsfähigen Anschrift des Beschwerdeführers im Weg der Rechtshilfe hat das Landgericht Nürnberg-Fürth mit Verfügung vom 12.10.2020 Termin zur Hauptverhandlung bestimmt für Dienstag, 18.05.2021, sowie zwei Fortsetzungstermine, und den Beschwerdeführer im Wege Rechtshilfe zum Termin geladen.
Mit Schreiben vom 04.02.2021 teilte die Staatsanwaltschaft des Bezirks Kaunas in Litauen mit, dass der Beschwerdeführer nicht auffindbar sei, er wohne nicht unter im Rechtshilfeersuchen angegebenen Adresse.
Da alle Bemühungen der Strafkammer, eine ladungsfähige Anschrift des Angeklagten zu ermitteln, erfolglos blieben, hat das Landgericht Nürnberg-Fürth mit Beschluss vom 03.03.2021 die öffentliche Zustellung der Ladung zur Hauptverhandlung angeordnet. Zudem wurde die Terminsladung im Bundesanzeiger am 09.03.2021 wie folgt veröffentlicht:
"Öffentliche Zustellung K O - Landgericht Nürnberg-Fürth - 7 KLs 359 Js 25243/16 (2)"
Die an die Gerichtstafel angeheftete Benachrichtigung lautete:
"Öffentliche Zustellung vom 03.03.2021
An den Angeklagten zu 2 K O, letzte bekannte Adresse , wird ein Schriftstück vom 03.03.2021 öffentlich zugestellt.
Das Schriftstück kann in den Räumen d. Abteilung für Strafsachen des Landgerichts Nürnberg-Fürth, Fürther Str. 110, 90429 Nürnberg, Zimmer 260 2. Stock, eingesehen werden.
Mit der Zustellung können Fristen in Gang gesetzt werden, nach deren Ablauf Rechtsverluste drohen können.
Das zuzustellende Schriftstück enthält die Ladung zu einem Termin, dessen Versäumung Rechtsnachteile zur Folge haben kann."
Hinweis:
Die öffentliche Zustellung wird nach Ablauf von 2 Wochen ab Aushang dieser Benachrichtigung wirksam."
Die bei den Akten befindliche Ladung, die eingesehen hätte werden können, enthielt den Hinweis, dass im Falle des unentschuldigten Ausbleibens die Vorführung angeordnet werden oder Haftbefehl nach § 230 Abs. 2 StPO erlassen werden kann. Ladung und Hinweis befanden sich sowohl in deutscher wie litauischer Sprache in den Akten.
Aufgrund der Hauptverhandlung vom 18.05.2021, zu welcher der Angeklagte K unentschuldigt nicht erschienen ist, erließ das Landgericht Nürnberg-Fürth am 27.05.2021 gegen diesen Haftbefehl gemäß § 230 Abs. 2 StPO.
Gegen den Haftbefehl hat der Verteidiger des Angeklagten mit Schreiben vom 02.06.2021 Beschwerde eingelegt. Er ist der Ansicht, dass der Haftbefehl nach § 230 Abs. 2 StPO nicht hätte erlassen werden dürfen, da die Benachrichtigung an der Gerichtstafel und die Veröffentlichung im Bundesanzeiger nicht in der dem Angeklagten allein verständlichen litauischen Sprache erfolgt sei.
Die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth hat mit Verfügung vom 28.06.2021 zur Beschwerde des Angeklagten eine Stellungnahme abgegeben. Sie ist der Ansicht, dass es auf das Vorbringen der Verteidigung nicht ankomme, da der Angeklagte hinreichende Deutschkenntnisse habe.
Das Landgericht Nürnberg-Fürth hat der Beschwerde mit Beschluss vom 30.06.2021 nicht abgeholfen.
Die Generalstaatsanwaltschaft Nürnberg hat mit Schreiben vom 15.07.2021 beantragt, die...