Entscheidungsstichwort (Thema)
Unzuständigkeit des Familiengerichts für die Überprüfung coronabedingter Maßnahmen der öffentlichen Verwaltung
Leitsatz (amtlich)
1. Für die gerichtliche Überprüfung coronabedingter Maßnahmen der öffentlichen Verwaltung (hier: Maskenpflicht, Distanzgebot, Corona-Testpflicht in Schulen) besteht keine Zuständigkeit der ordentlichen Gerichtsbarkeit. (Rn. 7 - 12)
2. Gerichtliche Maßnahmen bei Gefährdung des Kindeswohls gegenüber "Dritten" nach § 1666 Abs. 4 BGB erfassen nicht Maßnahmen gegenüber Trägern staatlicher Gewalt. Daher besteht keine Anordnungskompetenz des Familiengerichts gegenüber der Schulbehörde oder einzelnen Lehrern. (Rn. 12 - 14)
3. Bei von Amts wegen einzuleitenden Verfahren und Anregungen auf ein Einschreiten vom Amts wegen kommt eine Rechtswegverweisung (hier: an die Verwaltungsgerichtsbarkeit) nicht in Betracht. (Rn. 16)
4. Hat das Familiengericht auf Anregung der Eltern, gegen die Schule ein Eilverfahren gem. § 1666 BGB wegen Gefährdung des Wohls ihres minderjährigen Kindes und aller weiteren Schulkinder aufgrund der Anordnung der Pflicht zum Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes und zur Wahrung räumlicher Distanz zu eröffnen, die Rechtmäßigkeit der Zwölften Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (12. BayIfSMV) zu überprüfen und das IfSG zur Feststellung von dessen Unwirksamkeit gemäß Art. 100 Abs. 1 GG dem Bundesverfassungsgericht vorzulegen, im Wege der einstweiligen Anordnung den Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten für unzulässig erklärt und das Verfahren an das Verwaltungsgericht verwiesen, ist gegen diese Entscheidung das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde gemäß § 17a Abs. 4 S. 3 GVG, §§ 567 ff. ZPO statthaft. (Rn. 5 - 6)
Normenkette
BayIfSMV §§ 1, 18; BGB § 1666 Abs. 1, 4; FamFG § 57 S. 1; FamGKG §§ 40-41, 45; GVG §§ 13, 17a Abs. 2, 4; IfSG § 28a; VwGO § 40; ZPO § 569
Verfahrensgang
AG Kelheim (Beschluss vom 31.03.2021; Aktenzeichen 2 F 136/21) |
AG Kelheim (Beschluss vom 31.03.2021; Aktenzeichen 002 F 137/21) |
Tenor
1. Die sofortige Beschwerde der Eltern W K und M K gegen den Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Kelheim vom 31.03.2021 (Az.: 002 F 137/21) wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Verweisung in Ziff. 2 aufgehoben und das Verfahren eingestellt wird.
2. Die Beschwerdeführer tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
3. Der Verfahrenswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.000,00 EUR festgesetzt.
4. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe
I. Mit Schreiben vom 15.03.2021 wandten sich die sorgeberechtigten Eltern des 15 Jahre alten Jugendlichen J K (geb. am 2005), W und M K an das Amtsgericht Kelheim, mit der "Anregung", ein Eilverfahren "von Amts wegen" gem. § 1666 BGB gegen die schule A wegen Gefährdung des Wohls ihres Sohnes J und aller weiteren Schulkinder aufgrund der Anordnung der Pflicht zum Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes und zur Wahrung räumlicher Distanz zu eröffnen, die Rechtmäßigkeit der Zwölften Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (12. BayIfSMV) zu überprüfen und das Infektionsschutzgesetz zur Feststellung von dessen Unwirksamkeit gemäß Art. 100 Abs. 1 GG dem Bundesverfassungsgericht vorzulegen. Die Antragsteller sind der Meinung, ihr Kind und alle weiteren die dortige schule besuchenden Schüler seien in ihrem körperlichen, seelischen und geistigen Wohl sowie in ihren Menschen- und Grundrechten durch die schulintern verordnete Pflicht zum Maskentragen und zum Abstandhalten verletzt. Die schulinternen bzw. staatlichen Anordnungen verstießen gegen die UN-Kinderrechtskonvention, gegen die Europäische Menschenrechtskonvention (Art. 8) und gegen das Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe vom 10.12.1984. Die Antragsteller berufen sich auf angebliche wissenschaftliche Erkenntnisse.
Mit Beschluss vom 31.03.2021 (Az: 002 F 137/21) hat das Amtsgericht - Familiengericht - Kelheim im Wege der einstweiligen Anordnung den Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten für unzulässig erklärt und das Verfahren an das Verwaltungsgericht Regensburg verwiesen. Zuvor hatte das Gericht die Antragsteller auf seine Unzuständigkeit hingewiesen.
Die Antragsteller sahen und sehen nach wie vor die Verantwortlichkeit beim Familiengericht und weisen weiter darauf hin, dass die inzwischen für Schulen angeordnete Corona-Selbsttestung für Schüler rechtswidrig sei. Der Beschluss vom 31.03.2021 wurde den Antragstellern am 01.04.2021 zugestellt. Mit eigenem Schreiben vom 11.04.2021, eingegangen beim Ausgangsgericht am selben Tag, haben die Eltern Beschwerde eingelegt. Sie verweisen darauf, die physische und psychische Gesundheit ihrer Kinder sei "im Moment stark geschädigt". Zur Begründung nehmen sie Bezug auf einen Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Weimar vom 08.04.2021 (Az: 9 F 148/21), in welchem das Amtsgericht den Leitungen und Lehrern der Schulen die Anordnung von Maskenpflicht, Mindestabstand und die Durchführung von Schnelltests für alle dort beschulte...