Leitsatz (amtlich)
1. Erfolgte die Bestellung zum Pflichtverteidiger nach einer gesetzlichen Änderung der Gebührensätze, so richtet sich dessen Vergütung gem. § 60 Abs. 1 Satz 1 RVG auch dann nach neuem Recht, wenn er bereits vor der Gesetzesänderung als Wahlverteidiger tätig war.
2. Die Bewilligung einer Pauschgebühr nach § 51 Abs. 1 Satz 1 und 3 RVG setzt wegen ihres Ausnahmecharakters voraus, dass sich die anwaltliche Mühewaltung von sonstigen - auch überdurchschnittlichen Sachen - in exorbitanter Weise abhebt (Anschluss an BGH, Beschl. v. 17.9.2013 - 3 StR 117/12, StRR 2013, 39; v. 11.2.2014 - 4 StR 73/10, StRR 2014, 198).
3. Dies ist in einer erstinstanzlichen Strafkammersache der Fall, wenn die Hauptakten rund 2.000 Seiten, die zwei Mitangeklagte betreffenden Hauptakten sowie Beiakten und Sonderbände weitere rund 15.000 Seiten und die Verschriftungen der Telekommunikationsüberwachung rund 34.000 Seiten umfassen.
4. Die Aufdeckung von Verfahrensverstößen gem. § 160a StPO bei Überprüfung der TKÜ-Verschriftungen durch die Verteidiger begründet eine besondere Schwierigkeit gem. § 51 Abs. 1 Satz 1 RVG ebenso wenig wie der Umstand, dass die Strafkammer wegen des Umfangs und/oder der Schwierigkeit der Sache gem. § 76 Abs. 2 GVG mit drei Berufsrichtern besetzt wurde.
5. Die Pflichtverteidigergebühren können unzumutbar sein, wenn aufgrund der späten Bestellung des Verteidigers eine komprimierte Einarbeitung in das umfangreiche Verfahren kurz vor der Hauptverhandlung erforderlich ist und dieser während der zur Verfügung stehenden Zeit keine anderen Anwaltsmandate hat annehmen und führen können.
6. Die mögliche Arbeitsteilung zwischen mehreren für einen Angeklagten tätigen (Pflicht-) Verteidigern ist bei der Prüfung, ob für den Antragsteller ein besonderer Verfahrensumfang vorliegt, zu berücksichtigen.
7. Bei der Beurteilung, ob eine Sache besonders umfangreich oder besonders schwierig ist, kann die Erschwerung der Verteidigertätigkeit in einer Hinsicht (etwa wegen des Aktenumfangs und kurzer Einarbeitungszeit) durch ihre Erleichterung in anderer Hinsicht (z.B. durch die geringe Terminsdichte und eine unterdurchschnittliche Terminsdauer) ganz oder teilweise kompensiert werden.
8. Die Pauschgebühr wird grundsätzlich durch die Obergrenze der Wahlverteidigergebühren begrenzt, da letztere regelmäßig eine leistungsorientierte Vergütung gewährleisten, durch den Gesetzgeber an die wirtschaftliche Entwicklung angepasst werden und die Aufteilung der Gebühren auf die verschiedenen Tätigkeiten eine aufwandsangemessene Abrechnung der Anwaltsvergütung zulässt (vgl. BT-Drucks. 15/1971, 2, 144, 146, 149; BT-Drucks. 17/11471, 133, 281 f.).
9. Diese Grenze kann nur in extremen Ausnahmefällen überschritten werden, etwa wenn die Arbeitskraft des Verteidigers über einen längeren Zeitraum hinweg nahezu ausschließlich für seine Pflichtverteidigertätigkeit in Anspruch genommen wird oder eine Beschränkung selbst auf die Rahmenhöchstgebühr des Wahlverteidigers in einem grob unbilligen Missverhältnis zu der Inanspruchnahme des Rechtsanwalts stehen und diesem ein unzumutbares Sonderopfer abverlangen würde.
10. Das Maß der in solchen Ausnahmefällen zulässigen Überschreitung der Höchstgebühr des Wahlanwalts richtet sich nach den Umständen des jeweiligen Einzelfalls. § 42 Abs. 1 Satz 4 RVG, der die Pauschgebühr des Wahlverteidigers nach oben begrenzt, ist nicht entsprechend anwendbar.
11. Für die Berechnung der Pauschgebühr können die für die konkrete Tätigkeit des Pflichtverteidigers anfallenden Gebührentatbestände als Bemessungsgrundlage herangezogen und entsprechend dem Aufwand sowie dem Sonderopfer des Pflichtverteidigers im jeweiligen Verfahrensabschnitt - etwa durch Vervielfältigung - erhöht werden.
12. Hierbei kommt eine Erhöhung der Terminsgebühren wegen der gesetzlich geregelten Längenzuschläge nur in Ausnahmefällen in Betracht, etwa bei einem außerordentlichen Zeitaufwand für die Anreise zum Hauptverhandlungstermin.
13. Führt eine Verständigung zu einer wesentlichen Verkürzung der Hauptverhandlung, kann dies grundsätzlich nicht durch eine Anhebung der gesetzlichen Terminsgebühren honoriert werden. Hat der Pflichtverteidiger aber durch eine intensive Vorbereitung des Verfahrens die Grundlagen für die Verständigung gelegt, ist (im Rahmen der Bemessung der Pauschgebühr) ggf. eine zusätzliche Anhebung der Verfahrensgebühr möglich.
Verfahrensgang
LG Amberg (Aktenzeichen 11 KLs 106 Js 11453/11) |
Tenor
Herrn Rechtsanwalt M. wird für seine Tätigkeit als Pflichtverteidiger des Angeklagten H. im Hauptverfahren vor dem LG Amberg (Az.: 11 KLs 106 Js 11453/11) eine Pauschgebühr i.H.v. 9.700 EUR bewilligt.
Der weiter gehende Antrag wird zurückgewiesen.
Gründe
I. Der Antragsteller war zunächst aufgrund Vollmacht vom 4.3.2013 als Wahlverteidiger des seit 31.8.2012 in Untersuchungshaft befindlichen Angeklagten H. in einem gegen insgesamt drei Angeklagte wegen Einfuhr von bzw. unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge vor dem LG Amberg...