Leitsatz (amtlich)
1. Zur Frage des Vorliegens qualifizierten Verschuldens des Frachtführers i.S.d. Art. 29 CMR beim Diebstahl eines mit Notebooks beladenen, auf einer Autobahnraststätte in Norditalien abgestellten Lkw (hier: Einstündiges unbeaufsichtigtes Stehenlassen des Lkw trotz Vereinbarung des Anfah-rens der Abladestelle ohne Unterbrechungen und der ständigen Beaufsichtigung des Lkw; Diebstahlsanzeige an Polizei erst mehrere Stunden nach Entdeckung des Diebstahls)
2. Bei qualifiziertem Verschulden des Frachtführers i.S.d. Art. 29 CMR kann der Umfang des Schadensersatzanspruchs des Geschädigten auch allein nach den Regelungen in Art. 23 Nrn, 1 und 2 CMR - ohne Haftungsbeschränkung nach Art. 23 Nr. 3 CMR und ohne Rückgriff auf die Regelungen des im Einzelfall ergänzend anzuwendenden nationalen Rechts - bestimmt werden.
3. Gewerblich produzierte Güter werden erfahrungsgemäß stets mit Gewinn verkauft. Ein durch Ladungsverlust entgangener Gewinn aus einem Verkaufsgeschäft des Geschädigten ist nach Art. 23 Nr. 1 CMR zu ersetzen.
Normenkette
CMR Art. 17 Nr. 1, Art. 29, 23 Nrn. 1-3, 7
Verfahrensgang
LG Regensburg (Urteil vom 30.06.2008; Aktenzeichen 1 HKO 2449/06) |
Nachgehend
Tenor
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Endurteil des LG Regensburg vom 30.6.2008 (Az. 1 HK O 2449/06) wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass Ziff. I des Urteils - auf Grund teilweiser Rücknahme der Klage in der Berufungsinstanz - lautet:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 982.379,56 EUR nebst Zinsen hieraus i.H.v. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 23.2.2007 zu bezahlen.
II. Die Beklagte trägt die Kosten der Berufung.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagte kann die Vollstreckung der Klägerin durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des jeweils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
IV. Die Revision wird zugelassen.
Beschluss:
Der Streitwert wird für den Berufungsrechtszug bis zur teilweisen Rücknahme der Klage in der mündlichen Verhandlung vom 21.1.2009 auf 990.929,56 EUR und für die Zeit danach auf 982.379,56 EUR festgesetzt.
Gründe
A. Die Klägerin, ein Versicherungsunternehmen, begehrt von der Beklagten, einem von ihrer Versicherungsnehmerin (Fa. T. im Folgenden: T, beauftragten Transportunternehmen, aus übergegangenem Recht (§ 67 Abs. 1 Satz 1 VVG a.F. bzw. § 86 Abs. 1 Satz 1 VVG n.F.) wie auch aus abgetretenem Recht (Anlage K6) Schadensersatz wegen eines im Gewahrsam der Beklagten eingetretenen Verlustes von Transportgut.
Die Versicherungsnehmerin der Klägerin beauftragte die Beklagte zu festen Kosten mit dem Transport einer Ladung Computer-Notebooks (47 Paletten/3.384 Stück/7.979 kg) von der Niederlassung der Fa. T. in R. zur Fa. ... nach Cflim bei ... Vereinbart wurde die Geltung der, T. Sicherheitsrichtlinien für den Straßentransport", auf die Bezug genommen wird (Anlage K8) mit Ausnahme der dort unter Ziff. 1.2 geregelten Ausstattung der Transportfahrzeuge mit GPS. Die Beklagte sagte Fa. ... zudem zu:
"Um Ihren Sicherheitsanforderungen ... zu entsprechen, fährt der Lkw-Fahrer von Ihrem Werk direkt bis zu uns nach ..., wo er auf einem bewachten Parkplatz die vorgeschriebenen Ruhepausen einhält und sodann ohne Unterbrechungen die Ablaüestelie anfährt." (Anlagen K9, K13)
Die Beklagte übernahm am 17.11.2006 das Transportgut von der Versicherungsnehmerin der Klägerin. Nach einem Zwischenaufenthalt bei der Beklagten in B. erfolgte am 20.11.2006 gegen 04.00 Uhr der Weitertransport per Lkw. Gegen 07.30 Uhr erreichte der Lkw-Transport bei dichtem, erheblich verlangsamtem Verkehr die unbewachte, jedoch videoüberwachte, regelmäßig von der Straßenpolizei angefahrene und stark frequentierte Autobahnraststätte "..der Autostrada A. (nahe ... ca. 12 km vom Ziel C. entfernt). Dort wurde der Lkw durch den alleinigen Fahrer G. abgestellt und das Führerhaus versperrt; der Fahrer suchte sodann zunächst die Toilette und anschließend die Bar auf, um dort KaTfee einzunehminT Während dieses Aufenthalts wurde der Lkw samt Ladung entwendet.
Gegen 08.30 Uhr bemerkte der Fahrer den Diebstahl des Lkw, den er in der Folge bei der Polizei anzeigte.
Zu einem späteren Zeitpunkt wurde dieser Lkw leer. und ohne Aufbruch spuren wieder aufgefunden. Von der verschwundenen Ladung wurden am 30.11.2006 ein Teil, nämlich 78 Computer, durch die Polizei in NlBB sichergestellt (Anlagen K7, B04). Auf Grund entsprechenden Antrags der Fa. ... vom 5.2.2007 (Anlage B05) wurden diese 78 Computer - teilweise in beschädigtem Zustand - am 11.2.2008 an Fa. T. zurückgeliefert (Anlage K29).
Das LG Regensburg hat mit dem angefochtenen Urteil der Klage vollumfänglich stattgegeben. Die Klage sei nach Art. 17, 23, 29 CMR begründet. Auf Haftungsbeschränkungen könne sich die Beklagte nicht berufen, da ihr ein qualifiziertes Verschulden zur Last liege und sie zudem hinsichtlich der Umstände des ...