Leitsatz (amtlich)
Im Blick auf die Neureglung des Rechts der Pflichtverteidigung im Anschluss an die Richtlinie 2016/1919/EU ("PKH-Richtlinie") ist die rückwirkende Bestellung eines Pflichtverteidigers möglich, wenn dessen Bestellung eine wesentliche Verzögerung erfahren hat.
Normenkette
StPO § 140 Abs. 2, § 141
Verfahrensgang
LG Ansbach (Entscheidung vom 12.05.2020; Aktenzeichen StVK 332/15) |
LG Ansbach (Aktenzeichen StVK 117/16) |
Tenor
- Auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten wird der Beschluss der Kleinen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Ansbach vom 12.05.2020 aufgehoben.
- Dem Verurteilten wird mit Wirkung zum 06.03.2020 für das Verfahren zur Entscheidung über den Widerrufsantrag der Staatsanwaltschaft Passau vom 15.01.2020 Rechtsanwalt Dr. von SchXXX, P , als Pflichtverteidiger beigeordnet.
- Die Staatskasse trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die in diesem entstandenen notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers.
Gründe
I.
Der Verurteilte wendet sich mit seiner Beschwerde vom 25.05.2020, eingegangen bei Gericht am selben Tage, gegen die Versagung einer Pflichtverteidigerbestellung mit Beschluss der Kleinen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Ansbach vom 12.05.2020, zur Post gegeben am 15.05.2020.
Nachdem die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Ansbach am 14.02.2020 auf Antrag der Staatsanwaltschaft Passau vom 15.01.2020 die Bewährungsaussetzung zweier Reststrafen aus dem Urteil des Landgerichts Passau vom 20.04.2015, 2 KLs 12 Js 2981/14, und dem Urteil des Amtsgerichts Aachen vom 30.06.2010, 37 Ls 101 Js 69/10-79/10 widerrufen hatte, legte der Verurteilte mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 05.03.2020 sofortige Beschwerde gegen den Widerrufsbeschluss ein. Mit Schreiben seines Verteidigers vom 06.03.2020 begründete er diese und beantragte dessen Beiordnung als Pflichtverteidiger für das Vollstreckungsverfahren.
Mit Beschluss vom 09.04.2020 (Ws 226/20, Ws 227/20) hat der Senat auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten den Beschluss des Landgerichts Ansbach vom 14.02.2020 aufgehoben und die Sache zur erneuten Prüfung und Entscheidung, auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens, an die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Ansbach zurückverwiesen und hierbei zur Begründung ausgeführt:
(...) Die zulässige sofortige Beschwerde des Verurteilten hat zumindest vorläufigen Erfolg, als die angefochtene Entscheidung aufzuheben und zu neuer Entscheidung an die Strafvollstreckungskammer zurückzuverweisen ist.
Bei einem Widerruf nach §§ 57 Abs. 5 Satz 1, 56f Abs. 1 Nr. 2 StGB ist nach § 453 Abs. 1 Satz 4 StPO eine vorherige mündliche Anhörung des Verurteilten erforderlich (vgl. Meyer- Goßner/Schmitt, StPO, 62. Auflage, § 453 Rdnr. 7). Einen Grund, vorliegend hiervon absehen zu können, sieht der Senat nicht.
Es trifft weder zu, dass der Verurteilte, wie die Strafkammer im angefochtenen Beschluss ausgeführt hat, die gewährte Möglichkeit der mündlichen Anhörung nicht wahrgenommen hat. Noch hat der Verurteilte, wie die Generalstaatsanwaltschaft Nürnberg in ihrem Schreiben vom 12.03.2020 ausführt, auf die mündliche Anhörung verzichtet.
Die Staatsanwaltschaft Passau hat mit Schreiben vom 15.01.2020 beantragt, wegen gröblichen und beharrlichen Verstößen gegen Auflagen und Weisungen, die Bewährung zu widerrufen.
Mit Verfügung vom 30.01.2020 hat die Strafvollstreckungskammer Ansbach dem Verurteilten die Gelegenheit zu einer mündlichen Anhörung am 11.02.2020 eröffnet. Diese Verfügung wurde gemäß Erledigungsvermerk der Geschäftsstelle am 31.01.2020 dem Verurteilten und dessen Bewährungshelferin formlos mitgeteilt. Zu diesem Zeitpunkt war der Strafvollstreckungskammer aufgrund des bereits am 24.01.2020 bei Gericht eingegangenen Berichts der Bewährungshelferin vom 22.01.2020 aber schon bekannt, dass sich der Verurteilte bereits ab 28.01.2020 wieder in S aufhalten wird. Nachdem der Verurteilte durch seine Bewährungshelferin Kenntnis von dem Anhörungstermin erhalten hatte, setzte er sich dann telefonisch am 05.02,2020 mit der Geschäftsstelle der Strafvollstreckungskammer in Verbindung (vgl. Telefonvermerk vom 05.02.2020) und teilte mit, dass er zu dem Anhörungstermin nicht kommen könne, da er sich noch bis 20.02.2020 im Urlaub im Ausland befinde. Beides, sowohl den Hinflug nach S am XXX.XXX.2020, wie auch den Rückflug am XXX.XXX.2020, hat der Beschwerdeführer zwischenzeitlich durch die Vorlage der jeweiligen Boardingpässe auch nachgewiesen.
Der Verurteilte konnte somit den Anhörungstermin, von dem er überhaupt erst im Ausland Kenntnis erlangt hat, weder wahrnehmen, noch hat er auf die Anhörung in irgend einer Weise verzichtet.
In Ermangelung der notwendigen mündlichen Anhörung war folglich der Beschluss des Landgerichts Ansbachs wegen dieses erheblichen Verfahrensmangels aufzuheben und die Sache zur erneuten Prüfung und Entscheidung, auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens, an die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Ansbach zurückzuverweisen (vgl. Meyer- Goßner/Schmitt, a.a.O. § ...